Das fahle Pferd
Geschwätz über ein umgebautes Wirtshaus und drei alte Schachteln.
»Danke, Bella«, sagte Miss Grey höflich.
»Haben Sie alles, was Sie brauchen?« Die Worte waren nur gemurmelt.
»Ja.«
Bella wandte sich zur Tür. Sie hatte bisher niemanden angesehen, doch ehe sie hinausging, hob sie die Augen und warf mir einen schnellen Blick zu. Irgendetwas lag in diesem Blick, was mich zusammenzucken ließ, obwohl ich nicht hätte genauer beschreiben können, was es war. Es lag Bosheit darin und gleichzeitig ein eigenartiges Wissen. Ich fühlte deutlich, dass diese Frau meine innersten Gedanken gelesen hatte.
Thyrza Grey hatte meine Verwirrung bemerkt. »Bella kann einen Menschen schon aus der Fassung bringen, nicht wahr, Mr Easterbrook«, lächelte sie gewinnend. »Ich habe bemerkt, wie sie Sie anschaute.«
»Sie stammt aus dieser Gegend, wie ich höre?« Ich bemühte mich, nur höflich interessiert zu scheinen.
»Ja – und bestimmt hat Ihnen auch jemand erzählt, sie sei die Hexe des Orts.«
Sybil Stamfordis klapperte mit ihren Perlenschnüren.
»Gestehen Sie es nur, Mr… Mr…«
»Easterbrook.«
»Danke, Mr Easterbrook. Ich bin sicher, man hat Ihnen gesagt, wir alle betreiben Hexerei. Geben Sie es ruhig zu. Wir sind direkt berühmt dafür.«
»Und wohl nicht ganz unverdientermaßen«, behauptete Thyrza belustigt. »Unsere gute Sybil besitzt besondere Gaben.«
Sybil seufzte glücklich.
»Schon als Kind erkannte ich, dass seltsame Kräfte in mir steckten. Einmal brach ich ohnmächtig zusammen, als ich bei einer Freundin zum Tee eingeladen war. Etwas Grässliches musste in diesem Zimmer geschehen sein, ich wusste es. Viel später erst erhielt ich die Erklärung: Vor fünfundzwanzig Jahren war dort ein Mord verübt worden.«
Sie nickte und schaute uns der Reihe nach höchst befriedigt an.
»Erstaunlich!«, bemerkte Colonel Despard höflich.
»Auch in diesem Haus sind düstere Dinge geschehen«, erklärte Sybil dumpf. »Aber wir haben alles Notwendige getan. Die erdgebundenen Geister sind frei geworden.«
»Eine Art spiritistischer Frühjahrsputz?«, schlug ich vor.
Sybil sah mich finster an.
Rhoda versuchte einzulenken. »Sie tragen da einen wunderschönen Sari.«
Miss Stamfordis’ Gesicht entwölkte sich.
»Ja, nicht wahr? Ich bekam ihn in Indien. Oh, ich verbrachte dort eine sehr interessante Zeit. Ich bin auch eine der wenigen Frauen, die bis ins Innere von Haiti vorgedrungen sind. Dort findet man noch die ursprünglichen Quellen des Okkultismus, obwohl es natürlich schon selbst da zu einer gewissen Entartung und Verzerrung gekommen ist. Doch die echten Wurzeln sind noch vorhanden…«
Meine Gedanken begannen zu wandern. Ich hörte nur noch vereinzelte Worte, als Sybil nun fortfuhr, mit ihrem Wissen über Hexenkulte und Zauberei zu prahlen.
Nach einer Weile spürte ich, dass mich jemand ansah, und als ich mich umwandte, sah ich Thyrza Greys Augen fest auf mich gerichtet.
»Sie glauben nichts von alledem?«, murmelte sie. »Aber das ist verkehrt. Sie können nicht einfach alles als Aberglaube abtun, als Angst oder religiöse Bigotterie. Es gibt tatsächlich elementare Wahrheiten und elementare Kräfte; seit die Erde besteht, hat es sie gegeben… und es wird sie immer geben.«
»Ich glaube, wir sollten darüber nicht streiten«, sagte ich.
»Ein kluger Mann! Kommen Sie mit, schauen Sie sich meine Bibliothek an.«
Ich folgte ihr durch die Balkontür in den Garten und an der Seitenmauer des Hauses entlang.
»Wir haben die alten Ställe dafür ausgebaut«, erklärte meine Begleiterin.
Die Ställe und Scheunen waren zu einem einzigen langen Raum vereinigt worden. Die eine Längswand war voller Bücherborde. Ich ging hinüber, betrachtete sie und rief dann erstaunt: »Sie besitzen ja ganz seltene Ausgaben, Miss Grey! Kostbare, einmalige Werke! Ist dies hier ein Original des Malleus Maleficorum?«
»O ja!«
Ich nahm Buch um Buch aus den Regalen. Thyrza sah mir zu – mit einem Ausdruck stiller Befriedigung auf dem Gesicht, den ich nicht recht deuten konnte.
Ich stellte eben den Sadducismus Triumphatus zurück, als Thyrza bemerkte: »Es freut mich, einmal einem Menschen zu begegnen, der Verständnis für diese Schätze hat. Die meisten gähnen und langweilen sich dabei.«
»Es kann nicht viel über Hexenkult, Zauberei und all diese okkulten Dinge geben, was Sie nicht wissen, Miss Grey. Was erweckte wohl zuerst Ihr Interesse an diesem Spezialgebiet?«
»Das ist schwer zu sagen; es liegt schon
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