Das fahle Pferd
stimmte Rhoda zu.
Ich muss gestehen, dass ich etwas verwirrt zu Bett ging.
»Das fahle Pferd«, das in meinen Gedanken wie etwas Düsteres, aber Unwirkliches herumgespukt hatte, erwies sich auf einmal als Tatsache.
Immerhin bestand die Möglichkeit, dass es anderswo noch ein zweites »Fahles Pferd« gab…
Ich dachte drüber nach, bis ich einschlief.
13
A m nächsten Tag gingen alle zum Gottesdienst und lauschten den wohl gewählten Worten von Mr Dane Calthrop, der sich einen Text aus Jesaia ausgesucht hatte, der weniger mit Religion als mit persischer Geschichte zu tun hatte.
»Wir werden bei Mr Venables essen«, erklärte Rhoda später. »Er wird dir bestimmt gefallen, Mark – ein sehr interessanter Mann, ist überall in der Welt herumgekommen und hat alles Mögliche unternommen. Über die ausgefallensten Dinge weiß er Bescheid. Vor drei Jahren hat er Prior’s Court gekauft und sich hier niedergelassen. Und was er aus dem Haus gemacht hat, muss ihn ein Vermögen gekostet haben. Er hat in späten Jahren noch die Kinderlähmung bekommen und ist daher an seinen Rollstuhl gefesselt. Das muss grässlich für den Armen sein, wo er vorher doch so viele große Reisen unternommen hat. Natürlich kann er im Geld wühlen und – wie ich schon sagte – hat das Haus wundervoll restauriert. Vorher war es fast eine Ruine. Jetzt sind alle Räume voll der herrlichsten Dinge.«
Prior’s Court lag nur ein paar Meilen von Rhodas Haus entfernt. Unser Gastgeber kam uns in der Halle im Rollstuhl entgegen.
»Sehr nett von Ihnen allen zu kommen. Der gestrige Tag muss Sie völlig erschöpft haben. Aber das Ganze war doch ein voller Erfolg für Sie, Rhoda.«
Mr Venables war ein Mann von etwa fünfzig Jahren mit einem mageren Eulengesicht und großer Hakennase. Er trug einen altmodischen steifen Kragen mit umgeschlagenen Ecken.
Rhoda übernahm die Vorstellung.
Venables lächelte Mrs Oliver freundlich an. »Ich habe die Dame gestern in ihrer beruflichen Eigenschaft gesehen. Sechs Bücher mit Unterschrift habe ich erstanden – das sind sechs ausgezeichnete Weihnachtsgeschenke. Sie schreiben hervorragend, Mrs Oliver, bringen Sie nur bald wieder etwas Neues heraus! Man kann nie genug davon bekommen.« Er schmunzelte, als er Ginger ansah. »Sie hätten mir gestern beinahe eine lebende Gans aufgehalst, junge Dame!« Dann wandte er sich an mich. »Ich habe Ihren Artikel gelesen, der letzten Monat in der Review erschien; hat mir sehr gut gefallen.«
»Es war wirklich zu liebenswürdig von Ihnen, sich zu unserem Fest zu bemühen, Mr Venables«, erklärte Rhoda. »Nachdem Sie uns bereits einen so großzügigen Scheck für die Restaurierung des Kirchturms gesandt hatten, erwartete ich nicht, dass Sie noch persönlich kommen würden.«
»Oh, ich liebe solche Wohltätigkeitsveranstaltungen, sie gehören zum englischen Landleben. Ich kam heim mit einer schrecklichen Stoffpuppe im Arm… und den schönsten Prophezeiungen von unserer Sibylle, die in glanzvoller Aufmachung erschienen war, mit einem Turban aus Flittergold und ungefähr einer Tonne von falschem Perlenkram behängt.«
»Ach, die gute alte Sybil«, meinte Colonel Despard. »Wir gehen heute Nachmittag zu ihr und Thyrza zum Tee – wollen unseren Gästen das Haus zeigen.«
›»Das fahle Pferd‹? Mir tut es nur leid, dass es kein Wirtshaus mehr ist. Ich habe immer das Gefühl, dieser alte Bau müsse eine geheimnisvolle und verworrene Vergangenheit haben. Es kann sich dabei nicht um Schmuggel handeln, dazu sind wir viel zu weit vom Meer entfernt. Vielleicht ein Versteck für Räuber und Plünderer? Oder es stiegen reiche Reisende dort ab – und wurden nie mehr gesehen. Jedenfalls scheint es mir einfach ungerecht, dass es jetzt nur noch das höchst respektable Heim für drei alte Jungfern sein soll.«
»Oh, dafür halte ich sie niemals!«, rief Rhoda impulsiv. »Vielleicht Sybil Stamfordis, mit ihren Saris und Skarabäen, die immer eine Aura um die Köpfe der Menschen sieht – sie ist tatsächlich reichlich komisch. Aber Thyrza hat direkt etwas Ehrfurcht einflößendes an sich, finden Sie das nicht auch? Man hat immer das Gefühl, sie könne unsere innersten Gedanken lesen. Sie sagt nie, dass sie das zweite Gesicht besäße – doch jeder weiß es.«
»Und die gute Bella ist keineswegs eine alte Jungfer – sie hat immerhin zwei Ehemänner unter die Erde gebracht«, fügte Colonel Despard hinzu.
»Oh, da muss ich ja vielmals um Entschuldigung bitten«, lachte Mr
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