Das fahle Pferd
Venables.
»Und wenn man den Nachbarn glaubt, waren die äußeren Umstände der beiden Todesfälle sehr düster«, fuhr Despard fort. »Man behauptet, sie sei ihrer Männer überdrüssig geworden – ein einziger Blick von ihr habe genügt, daraufhin seien sie krank geworden und gestorben.«
»Ach ja, ich vergaß: Sie soll ja die Ortshexe sein, nicht wahr?«
»So sagt wenigstens Mrs Calthrop.«
»Eine interessante Sache, dieser Hexenglaube«, meinte Mr Venables gedankenvoll. »Überall auf der Welt findet man ihn, in den verschiedensten Variationen. Ich erinnere mich, als ich in Afrika war…«
Er plauderte leicht und unterhaltsam über das Thema, erzählte von Medizinmännern in Afrika, von einem wenig bekannten Hexenkult auf Borneo. Zum Schluss versprach er, uns nach dem Essen ein paar westafrikanische Zaubermasken zu zeigen.
»In diesem Hause findet man auch wirklich alles«, erklärte Rhoda lachend.
»Je nun…« Mr Venables zuckte die Achseln, »wenn man nicht zu den Dingen hingehen kann, dann müssen die Dinge eben zu einem kommen.«
Für einen kurzen Augenblick klang tiefe Bitterkeit aus seiner Stimme und er warf einen flüchtigen Blick auf seine gelähmten Beine.
»Weshalb aber hier?«, fragte Mrs Oliver.
Venables schaute die Fragerin an. »Wie meinen Sie das?«
»Weshalb haben Sie sich gerade hier niedergelassen, so fern von allem, was in der Welt vor sich geht? Vielleicht, weil Sie hier Freunde haben?«
»Ganz im Gegenteil! Ich zog hierher, weil ich hier keine Freunde besitze.«
Ein schmales, spöttisches Lächeln kräuselte seine Lippen.
Wie tief hat wohl die Krankheit diesen Mann getroffen?, fragte ich mich. War er verbittert über seine Unfähigkeit, die Welt weiter zu durchstreifen – oder war es ihm gelungen, sich mit den Tatsachen abzufinden, wie es nur wahrhaft große Geister können?
Als ob Venables meine Gedanken gelesen hätte, fuhr er, zu mir gewandt, fort: »In Ihrem Artikel warfen Sie die Frage auf, was ›Größe‹ bedeutet; Sie verglichen die verschiedenen Auffassungen, die man im Westen und im Osten von diesem Begriff hat. Aber was verstehen wir im Allgemeinen hier, in England, darunter, wenn man sagt: ›ein großer Mann‹?«
Er sah mich an; seine Augen funkelten und glitzerten.
»Gibt es nicht auch schlechte Menschen, die man als ›groß‹ bezeichnen kann?«, erkundigte er sich ruhig. »Man kann das Schlechte nicht einfach negieren, wie es heutzutage Mode ist, es gibt Schlechtigkeit – und Schlechtigkeit ist mächtig. Oft mächtiger als das Gute. Sie besteht; man muss sie nur erkennen… und bekämpfen. Sonst…«, er spreizte die Finger, »sonst gehen wir in der Dunkelheit unter…«
14
E s war schon vier Uhr, als wir Prior’s Court verließen. Nach dem Essen hatte uns Venables im Haus herumgeführt; es machte ihm offenbar Freude, seine Schätze zu zeigen.
»Er muss wirklich in Geld schwimmen«, bemerkte ich, als wir abfuhren. »All diese Jadefiguren und afrikanischen Skulpturen… gar nicht zu reden von seinem herrlichen Meißner und Sèvres-Porzellan. Ihr beide habt Glück, einen solchen Nachbarn zu besitzen. Direkt beneidenswert!«
»Als ob wir das nicht wüssten!«, rief Rhoda. »Die meisten Leute hier herum sind ja recht nett, aber sie gehören nun mal zu der langweiligen Sorte. Mr Venables dagegen ist die reinste Erholung. Er ist klug, belesen, unterhaltsam… wirklich alles, was man sich nur wünschen kann.«
»Wie ist er zu seinem Geld gekommen?«, wollte Mrs Oliver wissen. »Hat er es geerbt?«
Despard erwiderte trocken, heutzutage könne kein Mensch mehr mit einer großen Erbschaft angeben; dafür hätten Steuern und Abgaben gründlich gesorgt.
»Irgendjemand erzählte mir, er habe als Hafenarbeiter begonnen«, fuhr er fort. »Aber das erscheint mir unglaubwürdig. Er spricht nie über seine Kindheit oder seine Familie.« Lächelnd wandte er sich an Mrs Oliver. »Der richtige ›geheimnisvolle Mann‹ für Sie.«
»Das fahle Pferd« erwies sich als ein altes Fachwerkhaus, das etwas von der Dorfstraße zurückgesetzt war. Dahinter erstreckte sich ein großer, eingezäunter Garten, der das Haus besonders behaglich erscheinen ließ.
Ich war enttäuscht und sagte dies auch.
»Längst nicht unheimlich genug«, beklagte ich mich. »Keine Spur einer düsteren oder verbrecherischen Atmosphäre.«
»Warten Sie, bis Sie im Haus sind«, tröstete Ginger.
Miss Thyrza Grey empfing uns auf der Schwelle – eine große, fast männliche Gestalt in
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