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Das fahle Pferd

Das fahle Pferd

Titel: Das fahle Pferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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einem streng geschnittenen Tweedkostüm. Dichtes graues Haar bauschte sich über einer hohen Stirn, die Nase sprang scharf vor, und ihre Augen waren von einem durchdringenden Blau.
    »Da sind Sie also endlich«, begrüßte sie uns herzlich mit einer ausgeprägten Bassstimme. »Ich dachte schon, Sie hätten sich verlaufen.«
    Über ihre Schulter hinweg entdeckte ich im Schatten der düsteren Halle ein zweites, neugieriges Gesicht. Es schien seltsam flach und ausdruckslos, als ob ein Kind versucht hätte, es aus Plastilin zu formen.
    Rhoda stellte uns vor und sagte, wir hätten bei Mr Venables in Prior’s Court gegessen.
    »Ah, das erklärt alles«, meinte Miss Grey. »Die Fleischtöpfe Ägyptens! Mr Venables hat einen erstklassigen italienischen Koch. Und dann all die Schätze in seinem Haus. Nun, Mr Venables braucht entschieden etwas Aufheiterung, der Ärmste. Aber kommen Sie doch herein, bitte; auch wir sind ein wenig stolz auf unser kleines Haus. 15. Jahrhundert – ein Teil davon sogar 14.«
    Die Halle war niedrig und dunkel, eine geschwungene Treppe führte ins obere Stockwerk. An der einen Wand befand sich ein riesiger Kamin, über dem ein gerahmtes Bild hing.
    »Das alte Wirtshausschild«, bemerkte Miss Grey, als sie meinen Blick sah. »Bei diesem Licht kann man allerdings nicht viel erkennen, aber es ist wirklich ›Das fahle Pferd‹.«
    »Ich würde es gern einmal für Sie auffrischen«, fiel Ginger lebhaft ein, »ich sagte es Ihnen bereits. Überlassen Sie es mir nur für eine kurze Zeit und Sie werden bestimmt eine Überraschung erleben.«
    »Ich gestehe, dass ich da etwas misstrauisch bin«, erklärte Thyrza Grey offen. »Wenn Sie es nun verderben?«
    »Wie kommen Sie denn darauf!«, rief Ginger ärgerlich. »Schließlich ist das ja mein Beruf.«
    Zu mir gewandt fügte sie hinzu: »Ich arbeite für die Londoner Galerien – eine Arbeit, die mir viel Freude macht.«
    »Man muss sich an diese Mode der Restaurierung alter Gemälde erst gewöhnen«, verteidigte sich Miss Grey. »Mir stockt jedes Mal der Atem, wenn ich jetzt in die National Gallery gehe. Alle alten Gemälde sehen aus, als ob man sie vor Kurzem in ein scharfes Reinigungsbad getaucht hätte.«
    »Sie können doch gewiss nicht wünschen, dass man sie so dunkelbraun lässt. Man konnte ja oft kaum mehr erkennen, was sie darstellen«, protestierte Ginger. Mit schrägem Blick sah sie das Wirtshausschild an. »Auch da käme vielleicht manches zum Vorschein. Möglicherweise trägt das Pferd sogar einen Reiter.«
    Ich trat näher, um das Bild ebenfalls genauer zu betrachten. Es war eine grobe Malerei ohne besonderen Wert als den höchst zweifelhaften von Alter und Schmutz. Die Figur eines grauen Hengstes hob sich von dem dunklen, undeutlichen Hintergrund ab.
    »Hallo, Sybil!«, rief Thyrza. »Die Besucher nörgeln an unserem Pferd herum.«
    Miss Sybil Stamfordis war aus einem der Zimmer gekommen und näherte sich uns.
    Sie war eine große, hagere Frau mit dunklem, ziemlich fettigem Haar und einem gezierten Lächeln auf den halb offenen Lippen. Der leuchtend smaragdgrüne Sari, den sie um sich geschlungen hatte, trug nicht zur Erhöhung ihrer Erscheinung bei. Ihre Stimme war schwach und flattrig.
    »Ach, unser liebes, liebes Pferd«, säuselte sie. »Wir haben uns auf den ersten Blick in dieses alte Schild verliebt. Ich glaube wirklich, das war mit ein Grund, weshalb wir das Haus kauften, nicht wahr, Thyrza? Aber treten Sie doch bitte näher.«
    Der Raum, in den sie uns führte, war klein und quadratisch. Wahrscheinlich war er früher die Wirtsstube gewesen. Jetzt standen Chinte- und Chippendalemöbel darin und gaben dem Ganzen den Anstrich eines ländlichen Salons. In großen Schalen leuchteten prächtige Chrysanthemen.
    Dann wurden wir in den Garten geführt, der im Sommer gewiss einen entzückenden Anblick bot. Als wir wieder zurückkehrten, war bereits der Teetisch gedeckt. Sandwichs und selbst gebackene Kuchen lagen auf silbernen Tabletts. Sobald wir uns gesetzt hatten, kam die alte Frau herein, deren Gesicht ich einen Augenblick in der Halle gesehen hatte. Sie trug einen dunkelgrünen Kittel und hielt in der Hand eine große silberne Teekanne. Bei näherer Betrachtung verlor sich der Eindruck, das Gesicht sei von einem Kind aus Knetmasse geformt worden. Doch war es ein geistloses, plumpes Gesicht und ich konnte nicht mehr verstehen, weshalb es mir vorhin unheimlich erschienen war.
    Plötzlich wurde ich ärgerlich auf mich selbst. All dieses

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