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Das Falsche Gewicht

Das Falsche Gewicht

Titel: Das Falsche Gewicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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über dessen Wirtschafts- wie sonstigen Betrieb zu übernehmen«, glaubte er, ein Glück und ein Unglück hätten ihn zu gleicher Zeit betroffen, und ihm war zumute wie etwa einem Manne, der träumt, er stände auf weitem, freiem Felde, ausgeliefert zwei Winden zugleich, einem Nordwind und einem Südwind. Das bittere Leid und die süße Freude atmeten ihn gleichzeitig und heftig an. Er konnte das Ansinnen der Gemeinde beziehungsweise der Bezirkshauptmannschaft freilich ablehnen. In dem Schreiben hieß es: »Es bleibt Ihnen anheimgestellt, auf den Vorschlag zustimmend oder ablehnend Bericht zu erstatten.« Dadurch war die Lage des Eichmeisters noch schwieriger geworden. Er war nicht gewohnt zu entscheiden. Zwölf Jahre hatte er gedient. Er war gewohnt zu gehorchen. Wäre er doch in der Kaserne, bei der Armee geblieben! Er ging ganz langsam, den Hut in der Hand und mit gesenktem Kopf, nach Hause. Er hatte lange Zeit, er bildete sich ein, der Weg sei länger als gewöhnlich. Merkwürdigerweise empfand er keinen Widerwillen gegen sein Haus und das, was es barg: seine Frau und den Bankert. Er hatte das Kind, seit jenem Abend, an dem es ihm die Hebamme entgegengebracht hatte, nie mehr gesehen. Auch seine Frau zeigte sich nicht in den Stunden, in denen er zu Hause war. Er hörte nur manchmal durch die geschlossene Tür das Kreischen des Kindes. Es bereitete ihm eine besondere Freude, es störte ihn keineswegs, seltsamerweise. Er schmunzelte sogar vor sich hin, wenn er das Kleine so schreien hörte. Wenn er schrie, der Kleine, so war es ein Zeichen, daß er sich ärgerte. Auch seine Mutter ärgerte sich, auch das Dienstmädchen Jadwiga ärgerte sich. Sie sollten sich nur alle ärgern!
    Heute abend drang kein Laut durch die geschlossene Tür. Das Dienstmädchen Jadwiga kam wortlos herein, sie brachte die Suppe und das Fleisch gleichzeitig – denn Eibenschütz hatte ihr verboten, zweimal im Laufe eines Abends ins Zimmer zu kommen. Er aß hastig und ließ die Hälfte stehen. Er vermißte das Heulen des Kindes und den beruhigenden Gesang seiner Frau.
    Er zog während des Essens das streng vertrauliche Schreiben aus der Tasche und überlas es noch einmal. Eine Zeitlang glaubte er, aus den Worten, aus den Buchstaben sogar würden neue Möglichkeiten, neue Deutungen kommen. Nachdem er aber das Schreiben ein paarmal gelesen hatte, mußte er sich sagen, daß es nichts Geheimnisvolles enthielt und keinen verborgenen Nebensinn.
    Er mußte sich entscheiden, es war kein Zweifel. Noch standen die Teller vor ihm, halbgefüllt, zurückgeschoben und verschmäht. Schon erhob er sich. In den Schuppen ging er und rollte das Wägelchen in den Hof, hierauf in den Stall, um den Schimmel Jakob loszubinden.
    Er spannte ein, er fuhr los. Er saß ruhig, die Hände im Schoß auf dem Bock. Die Zügel lagen locker über dem Rücken des Gauls; ihr Ende war umgeschlungen um die Kurbel der Bremse. Die Peitsche lehnte links im ledernen Behälter.
    Der Schimmel brachte ihn, ohne Zügel, ohne Peitsche, ohne Zuruf in angemessener Zeit nach Szwaby, unmittelbar vor die Tür der Grenzschenke.
    Eibenschütz fragte sofort nach der Frau Euphemia. Er setzte sich nicht, es erschien ihm notwendig, eine Art dienstlicher Haltung einzunehmen, als wäre er mit dem festen Entschluß hierhergekommen, die Leitung der Wirtschaft zu übernehmen. Dienstliche Haltung – sagte er sich –, und er blieb am Ende der Treppe stehen, den Hut auf dem Kopfe. Es dauerte, bevor sie herunterkam. Nach einer langen Weile hörte er auf der Treppe ihren Absatz. Er blickte nicht empor, aber er glaubte, deutlich ihren Fuß zu sehen, den schmalen, langen Fuß in den schmalen, langen Schuhen. Schon rauschte ihr vielgefälteltes weinrotes Kleid. Auf den harten, hölzernen, unbedeckten Stufen scholl ihr harter, fester, gleichmäßiger Schritt. Eibenschütz wollte nicht hinaufsehen. Viel lieber war es ihm, wenn er sich vorstellte, wie sie ging und wie sich die vielen, vielen zarten Falten ihres Kleides bewegten. Noch viel mehr Stufen hätte die Treppe haben müssen. Jetzt war sie unten, jetzt stand sie schon vor ihm. Er nahm den Hut ab.
    Er sagte, ohne sie genau anzusehen, über ihren Kopf hinweg, aber so, daß er den blauschwarzen Schimmer ihrer Haare allzu deutlich wahrnahm: »Ich habe Ihnen etwas Besonderes zu sagen!«
    »Sagen Sie es doch!«
    »Nein, etwas ganz Besonderes! Nicht hier!«
    »Gehn wir also hinaus«, sagte sie und schritt voran zur Tür.
    Der Mond stand groß und milde über dem

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