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Das Falsche Gewicht

Das Falsche Gewicht

Titel: Das Falsche Gewicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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Hof.
    Der Hund bellte unermüdlich. Der Schimmel stand da, an die Hoftür angebunden, und hielt den Kopf gesenkt, als dächte er nach. Es roch betäubend süß nach Akazien, und es war Eibenschütz, als kämen alle Gerüche dieser Frühlingsnacht von der Frau allein, als hätte sie allein dieser ganzen Nacht Düfte und Glanz und Mond zu vergeben und alle Akazien der Welt.
    »Ich bin hier dienstlich heute«, sagte er. »Ich vertraue Ihnen, deshalb sage ich es Ihnen, Euphemia«, setzte er nach einer Weile hinzu. »Es darf keiner der Gläubiger in dieses Haus. Ich bin beauftragt, es zu verwalten und zu beaufsichtigen. Wenn Sie wollen, werden wir uns gut vertragen.«
    »Natürlich«, antwortete sie, »warum sollten wir uns nicht großartig vertragen?«
    Es schien dem Eichmeister, daß ihre Stimme im silbernen Blau der Nacht anders klinge als in der Wirtsstube. Die Stimme war laut, klar und sanft, sie hatte gleichsam Wölbungen, Bögen, Eibenschütz glaubte, die Stimme sehen und beinahe greifen zu können. Bald hatte er die Empfindung, sie wölbte sich über seinem Kopfe und er stünde hart unter ihr.
    Erst eine gute Weile, nachdem sie verklungen war, begriff er, was die Stimme gesagt hatte. Sie würden sich vertragen. Sie würden sich vertragen. Warum denn nicht?
    »Es ist streng vertraulich«, sagte er. »Verstehen Sie? Werden Sie keinem ein Wort sagen?«
    »Niemandem ein Wort«, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen, eine weiße, schimmernde Hand. Es war, als schwämme sie durch die silberblaue Nacht.
    Er wartete eine Weile, er sah die schimmernde Hand sehr lange an, bevor er sie nahm. Sie war kalt und warm zugleich, es schien ihm, sie sei innen heiß und ihr Rücken kalt. Er behielt das weiße, schimmernde Ding eine längere Weile. Als er es losließ, lächelte Euphemia. Man sah deutlich im Blau der Nacht ihre blanken Zähne.
    Sie wandte sich schnell um, und ihr vielgefältelter Rock rauschte, ganz sachte. Das Kleid hatte ein eigenes Leben, eine Art lebendiges Zauberzelt war es. Es säuselte, es rauschte.
    Als der Eichmeister in die Schenke zurückkehrte, saßen der Wachtmeister Slama und der Gauner Kapturak an einem Tisch und spielten Tarock. Eibenschütz setzte sich zu ihnen.
    »Armer Mann, der Jadlowker«, sagte Kapturak, »was, Herr Eichmeister?« Eibenschütz antwortete nichts, aber der Gendarm Slama sagte ungeduldig: »Sie werden wir auch noch erwischen, Herr Kapturak! Noch eine Partie gefällig?«

XXII
    Die meisten sterben dahin, ohne von sich auch nur ein Körnchen Wahrheit erfahren zu haben. Vielleicht erfahren sie es in der anderen Welt. Manchen aber ist es vergönnt, noch in diesem Leben zu erkennen, was sie eigentlich sind. Sie erkennen es gewöhnlich sehr plötzlich, und sie erschrecken gewaltig. Zu dieser Art Menschen gehörte der Eichmeister Eibenschütz.
    Der Sommer kam plötzlich, ohne Übergang. Er war heiß und trocken, und wenn er hie und da ein Gewitter gebar, so verging es schnell und hinterließ eine noch heftigere Hitze. Das Wasser wurde spärlich, die Brunnen versiegten. Das Gras auf den Wiesen wurde früh gelb und welk, und selbst die Vögel schienen zu verdursten. Sie waren zahlreich in dieser Gegend. Jeder Sommer noch, den Eibenschütz hier verbracht hatte, war erfüllt gewesen von ihrem heftigen, schmetternden Gesang. In diesem Sommer aber vernahm man sie nur selten, und der Eichmeister bemerkte zu seinem Erstaunen, daß er ihren Gesang vermißte. Wann hatte er jemals etwas auf den Gesang der Vögel gegeben? Warum empfand er auf einmal alle Veränderungen in der Natur? Was war ihm denn die Natur sein Leben lang gewesen, dem Feuerwerker Eibenschütz? Klare Sicht oder schwache Sicht. Ein Exerzierplatz. Mäntel anziehn oder umschnallen. Ausrücken oder nicht ausrücken. Die Läufe der Karabiner zweimal am Tag putzen lassen oder nur einmal. Warum nur fühlte der Eichmeister Eibenschütz plötzlich alle Veränderungen in der Natur? Warum genoß er jetzt das tiefe, sommerliche Grün der großen, breiten, reichen Kastanienblätter, und weshalb betäubte ihn jetzt der Duft der Kastanien so heftig?
    Sein Kind, das heißt das Kind des Schreibers Nowak, wurde jetzt im Kinderwagen spazierengeführt. Er begegnete manchmal seiner Frau im kleinen Stadtpark, wenn er ihn durchquerte, um vom Amt in die Wohnung zu gehen. Es war zu heiß, um auf den Steinen zu marschieren. Wenn er seine Frau traf, ging Eibenschütz eine Weile neben ihr dahin, hinter dem Kinderwagen, und sie sprachen kein Wort. Längst

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