Das Falsche in mir
sind.
»Erst muss ich dir den Rest erzählen.«
»Also gut, du hast sie umgebracht. Glaubst du, mich interessiert, wie du das gemacht hast?«
»Das Wie ist wichtig in diesem Fall.«
»Du bist ein scheißperverser Mörder. Du bist so ekelhaft, dass ich kotzen könnte.«
Aber ich merke, dass er wider Willen neugierig ist.
15
Manchmal erwache ich für Minuten aus meinem Rausch. Dann weiß ich, dass ich unsere Beziehung beenden muss, bevor etwas passiert. Aber diese Phasen sind kurz, und wenn sie vorüber sind, vergesse ich sie sofort.
Wenn wir zusammen sind, verschmelzen Marion und ich zu einer Person, die gottähnliche Züge angenommen hat. Die Reaktion der Umwelt scheint diese Hybris zu unterstützen: Menschen, die uns nicht kennen, drehen sich auf der Straße nach uns um, unwillkürlich fasziniert von der Strahlkraft, die uns umgibt und scheinbar unverletzlich macht. In der Schule werden wir bestaunt, beneidet und, da wir weiter gute Noten schreiben, in Ruhe gelassen. Freunde brauchen wir nicht.
Wir lassen niemanden hinein in den schillernden Kokon, der nur uns beide umfasst und den Rest der Welt ausschließt. Marion, das fühle ich, gehört mir. Ein Leben ohne sie ist unvorstellbar. Sie ist ich, ich umfasse ihr zartes Wesen wie eine Schutzhülle. Ich weiß, was in ihr passiert, wenn sie sich mit einer nervösen Gebärde durch die Haare fährt, als wolle sie sich vergewissern, dass sie noch da sind – eine unbewusste Suche nach Kraft und Halt.
Ich kenne ihr verzweifeltes Schweigen, wenn sie wieder einmal das Gefühl hat, dass sie Erwartungen enttäuscht, die ihre Schönheit geweckt hat. Ich liebe ihr verlegenes Lachen, wenn Fremde sie zu lange anschauen. Ich fasse ihre Gedanken in Worte, bevor sie sie zu Ende gedacht hat.
Ich habe sie unter meine Kontrolle gebracht, aber meine Herrschaft ist sanft und freundlich. Lange bevor wir das ersteMal miteinander schlafen, bin ich in sie eingedrungen, habe mich in ihr festgesetzt, erfülle sie ganz und gar.
Marion setzt dem nichts entgegen. Ihr Vertrauen ist fundamental und rückhaltlos, und so lässt sie es zu, dass ich Besitz von ihr ergreife, meine Gefühle immer mehr zu ihren werden.
Anfangs haben wir geredet und geredet, jetzt können wir Stunden damit verbringen, uns anzuschauen. Wir haben uns auf einer Waldlichtung ein Lager gemacht, mit Decken und Picknickkorb und einer Kerze für die Dämmerung.
Marions Gesicht ist ein Garten, in dem ich so lange spazieren gehe, bis ich auch die letzte Rose in- und auswendig kenne, um dann wieder von vorne anzufangen. Ich sage ihr das, und wir umarmen und küssen uns, heiß und voller Gier. Aber zu mehr kommt es nicht, und ich weiß sehr genau, warum.
Nach etwa zwei Monaten bittet sie mich um einen Höflichkeitsbesuch bei ihren Eltern. Beinahe streiten wir uns deswegen, es wäre das erste Mal.
Ich will ihre Eltern nicht sehen, sie spielen keine Rolle in unserem Leben, sie interessieren mich nur dann, wenn Marion Probleme mit ihnen hat.
Marion weint. Wir sind auf dem Heimweg von der Schule, die großen Ferien nahen, heiße Sommerwochen liegen hinter uns, die wir hauptsächlich im Freien verbracht haben. So wird es aber nicht mehr lange weitergehen. Marion wird mit ihren Eltern drei Wochen lang an die Adria fahren, und es gibt keine Möglichkeit, diesen Urlaub zu verhindern, das ist selbst mir in meiner Verblendung klar.
»Hör auf«, sage ich sanft und wische ihr die Tränen ab.
Sie schnieft, angelt aus ihrer Schultasche eine zerdrückte Packung Papiertaschentücher, bleibt stehen und zerrupft ungeschickt das dünne Plastik. Ich nehme ihr das Päckchen aus der Hand und pule ein Taschentuch heraus. Sie weint weiter und schnäuzt sich.
»Komm schon, hör auf.« Ich nehme sie in den Arm.
Um uns herum dröhnt der Straßenverkehr, und sie schluchzt zitternd an meinem Hals. Erst nach Minuten beruhigt sie sich und wir gehen weiter. Als wir in einer ruhigeren Gegend sind, erklärt sie mir, dass ihre Eltern mich unbedingt kennenlernen wollten, sonst würden sie den Kontakt verbieten.
»Papa ist doch Bürgermeister«, sagt sie, als würde das etwas erklären.
Also besuche ich sie ein paar Tage später zur Abendbrotzeit. Sie leben in einem eleganten Bungalow, der zum Garten hin fast vollkommen verglast ist. Dicht an der Fensterfront steht der schwarze Esstisch, wo ich von Marions Eltern empfangen werde. Beide erheben sich mit einer seltsam synchronen Bewegung, als ich hereinkomme. Marions Mutter ist eine hochgewachsene,
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