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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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Füße an die Stuhlbeine. Ich atme tief durch und setze mich ihm gegenüber. Meine Beine zittern, mein linker Arm sendet pochende Schmerzsignale. Ich muss das ignorieren. Körperlich bin ich ein Wrack, aber zum ersten Mal seit meiner Flucht fühle ich mich stark und ganz ruhig.
    Vassilis starrt mich aus seinen dunklen Augen an, nicht ängstlich, sondern voller Verachtung.
    »Was ist mit deiner Schwester passiert?«, frage ich.
    Vassilis spuckt mir ins Gesicht.
    »Gut«, sage ich, »dann werde ich dir jetzt etwas erzählen. Und du entscheidest anschließend, ob du mir glaubst.«
    »Meine Freunde werden gleich hier sein.«
    »Wenn du wirklich jemanden benachrichtigt hättest, stünde der schon vor der Tür. Und jetzt hör mir zu.«
    »Wenn du weitersprichst, schreie ich das Haus zusammen.«
    Ich beuge mich vor. Alle Hemmungen sind von mir abgefallen, ich bin nicht mehr Lukas, ich bin jemand, den ich nicht kenne. Dieser Jemand gefällt mir und er ist mir unheimlich.
    »Ich sage dir jetzt, wie es damals wirklich war. Du bist der Erste, der es erfährt. Wenn du schreist, töte ich dich.«
    Vassilis starrt mich an mit brennenden Augen. Doch bevor ich zu reden anfange, gehe ich noch nach unten in seinen Imbiss, hänge das Geschlossen-Schild außen an die Tür, sperre ab und mache das Licht aus. Dabei habe ich die ganze Zeit das seltsame und unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Ich werfe einen Blick auf die Straße, aber sie scheint leer zu sein. Ich zucke mit den Schultern und steige über die steile, enge Holztreppe wieder nach oben. Der Essensgeruch nach Lammfleisch und Tsatsiki klebt an mir, und mir wird fast übel davon.
    Vassilis sitzt noch so da, wie ich ihn verlassen habe. Sein Kopf hängt etwas zur Seite, und einen Moment lang habe ich Angst, dass er tot ist, dass ich ihn umgebracht habe. Aber er lebt und bedenkt mich mit einem verachtenden Blick, als ich anfange zu erzählen.

13
    Marion ist das hübscheste Mädchen der Klasse und sie interessiert sich für mich. Ich bin fünfzehn Jahre und sehr verliebt.
    Mir ist noch nicht klar, dass die Liebe nichts für mich ist, dass ein Mensch wie ich nicht lieben darf. Ich befinde mich in der Phase der Gnade.
    Es gibt eine detaillierte Inszenierung in meinem Kopf, wie ein morbider Tanz mit komplizierten Figuren, bei dem jede Drehung einer Regieanweisung zu folgen hat, oder wie ein Duett, in dem jeder Ton stimmen muss und ich allein das Tempo vorgebe, aber ich weiß noch nicht, dass diese raffiniert ausgearbeiteten Fantasien irgendwann einmal etwas mit der Realität zu tun haben werden. Ich denke, ich kann sie ganz für mich allein genießen und beherrschen. Ich denke, ich kann sie in meinem Kopf einsperren.
    Ich bin noch unschuldig.
    Marion sitzt vor mir, und ich verbringe viele Schulstunden damit, ihren freiliegenden Nacken zu betrachten. Er ist schmal, biegsam und verletzlich. Wenn sie ihren Kopf senkt, sieht man die zarten Knochen ihres Rückgrats, die blonden Härchen auf ihrer gebräunten Haut. Am Hinterkopf hat sie einen kleinen vorwitzigen Wirbel in der ansonsten akkurat geschnittenen Frisur.
    Alle anderen Mädchen tragen die Haare entweder lang und wild oder schräg und asymmetrisch oder grün gefärbt und aufgestellt wie Stacheln. Nur Marion hat einen klassischen kurzen Pagenkopf, der genau an der Kinnlinie endet. Er ist der perfekte Rahmen für ihr schönes Gesicht.
    Aber das weiß sie nicht. Anfangs denke ich wie die anderen, dass sie arrogant ist, später gesteht sie mir ihre Unsicherheit. Sie findet sich hässlich und glaubt, dass niemand sie mag, dabei traut sich nur niemand an sie heran. Neid ist natürlich auch im Spiel. Die anderen Mädchen lästern über sie, weil Marion keine schwarzen Minis über zerrissenen Netzstrümpfen und keine ausgeleierten Jeans unter labbrigen T-Shirts trägt, sondern Faltenröcke, mit Karomuster versehene Burlington-Strümpfe, weiße Blusen und darüber graue oder bordeauxrote Pullover mit V-Ausschnitt.
    Niemand läuft in unserer Klasse so herum. Alle anderen geben sich freakig, punkig oder wavig.
    Ich selber interessiere mich nicht für Mode, nicht im Geringsten. Auch die damit verbundenen, mehr oder weniger oberflächlichen Glaubensbekenntnisse lassen mich kalt. Ich habe keine Angst vor Atomkraftwerken und Mittelstreckenraketen, glaube weder an ein höheres Wesen noch an den sauren Regen, ich will nicht cool sein, tanze nicht zu Discofox und schwärme nicht für Musikgruppen mit drogenbenebelten Leadsängern und

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