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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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liegen.
    »Das weiß ich«, sagt Sina. »Mach dir keine …«
    »Doch.«
    »Was?«
    »Ich mache mir Gedanken.«
    »Das musst du aber nicht.«
    »Du bist mir wichtig. Schon lange.«
    Dann hat sie sich das in den letzten Jahren nicht nur eingebildet. Seine Blicke, die Sehnsucht darin.
    Es ist schön.
    Wenn man verliebt ist, kann man alles ertragen, und noch viel mehr. Probleme sind sogar gut, wenn man verliebt ist, denn man hat dadurch Gesprächsstoff, und das fördert die Liebe. Viel reden fördert die Liebe, das Reden, das dauernde sich gegenseitig Bestätigen ist wie ein beruhigendes Grundrauschen, das die Aufregung mindert, Verbindung schafft, das schmerzhafte Gefühl der Fremdheit überwindet.
    Und so fällt Teresa nicht auf, dass ihr neuer Freund und sie immer nur über ihre Probleme reden, niemals über seine. Ihr neuer Freund, der sie jeden Tag an derselben Straßenecke abpasst, nennt sich Len. Kein Nachname. Sie hat ihn allerdings auch nie gefragt, er schafft es, sich Fragen vom Hals zu halten.
    Die einfachste Methode: Es geht immer nur um sie. Und naturgemäß um ihren Vater.
    Und sie redet und redet und spürt dabei seine intensiven Blicke. Er passt sie an einer Kreuzung ab, bringt sie jetzt jeden Tag zur Schule. Er scheint sich in ihrer Gegend gut auszukennen, denn sie nehmen nie den direkten Weg, sondern er führt sie durch Seitenstraßen zum Ziel, gewundene Umwege, die den Vorteil haben, dass sie mehr Zeit miteinander verbringen können. Um trotzdem pünktlich zu sein, geht Teresa jetzt eine Viertelstunde früher aus dem Haus.
    Ihre Mutter ist so mit sich selbst beschäftigt, dass sie diese Veränderung nicht einmal merkt.
    Len wartet auf sie an der Kreuzung, jeden Morgen, zuverlässig. Er lehnt an immer demselben Laternenpfahl, schaut nicht in ihre Richtung, wartet, bis sie ihn anspricht. Dann allerdings, wenn sie nebeneinandergehen, sieht er sie unaufhörlich von der Seite an.
    Anfangs hat sie das irritiert, dieser intensive Blick. Dann fing sie an, sich zu entspannen, sich wohlzufühlen, alle Verantwortung für sich und alles, was sie betrifft, an ihn abzutreten.
    Er sorgt dafür, dass sie unbeschadet über die befahrene Hauptstraße kommen, dass sie niemanden anrempeln, dass Teresa nicht über festgefrorene Schneehaufen stolpert, die mittlerweile schwarz von Autoabgasen und gelb von Hundepisse sind.
    All das könnte Teresa auch selber, sie ist ja kein Kind mehr.
    Len macht sie zum Kind. Und gleichzeitig fühlt sie sich älter und reifer in seiner Gegenwart. Erwachsener. Wenn Len sie über ihren Vater ausfragt, dann scheint er jedes Wort von ihr aufzusaugen.
    Denkst du das wirklich?
    Ich glaube schon.
    Das ist ein interessanter Gesichtspunkt.
    Natürlich geht es nicht nur um ihren Vater. Es geht um sieund die Gefühle eines Teenagers, Freundinnen, die sie plötzlich meiden, die Schule, in der sie sich nicht mehr wohlfühlt, ihre neue Einsamkeit. Len erklärt ihr, dass Einsamkeit nichts Schlechtes ist, sondern der Preis, den Menschen bezahlen müssen, die besonders sind.
    Teresa hat sich nie als besonders empfunden, im Gegenteil, sie hat sich in jeder Art von Gemeinschaft immer wohlgefühlt, aber da das jetzt nicht mehr so ist, da sie nun zu den Außenseitern gehört, über die sie sich früher selbst gern lustig gemacht hat, ist sie erleichtert über diese neue Interpretation.
    Ich wollte nie besonders sein.
    Niemand will das, Teresa. Es ist ein Fluch und eine Gabe.
    Sie sonnt sich förmlich in diesen Worten, unter ihrem dicken Daunenparka wird ihr warm, sie streicht sich mit der Hand durch ihre weichen, üppigen Haare, weiß endlich wieder, dass sie hübsch ist.
    Man vergisst das so schnell, wenn es einem keiner mehr sagt.
    Und dann spürt sie eine Hand in ihrem Nacken, zwischen Hals und Fellkapuze – das erste Mal, dass Len sie anfasst, also richtig anfasst, nicht nur ihren Ellbogen, um sie hierhin oder dorthin zu führen –, und sie erschauert und traut sich nicht, ihn anzusehen. Die Berührung tut so gut, am liebsten wäre ihr, der Schulweg würde gar nicht enden.
    Len verlässt sie immer kurz bevor sie das »Palme« erreichen und sie eintaucht in den Pulk der Mitschüler, der sie wie ein träger Fluss über den geteerten Hof und durch die stickigen Gänge des Schulgebäudes trägt, bis er sie in ihr jeweiliges Klassenzimmer spült, wo sie strandet wie ein toter Fisch.
    So konnte es passieren, dass sie nie jemanden treffen, den sie kennt. Es ist also so, als gäbe es Len nur in ihrer Fantasie.

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