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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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Nicht einmal ihre Schwester Kira ahnt etwas.
    Die Berührung an ihrem Hals verstärkt sich, es ist fast eine Massage. Teresa atmet ein wenig schneller, schließlich wagtsie es und drückt sich an Len. Sie gehen langsamer, bleiben stehen, dann entfernt sich Len von ihr – nur ein paar Zentimeter, aber sie ändern alles.
    Schließlich gehen sie wieder nebeneinanderher, als wäre nichts gewesen. Und vielleicht war ja auch nichts.
    »Hast du nie etwas gemerkt?«
    Keine ihrer Freundinnen hat sich getraut, diese Frage zu stellen, aber Len darf das, auch wenn ihr keine Antwort einfällt.
    »Er war ganz normal«, sagt sie.
    Aber sie weiß, dass das nicht sein kann. Sie hat es nicht gemerkt, so sieht die Wahrheit aus. Ihr Vater ist ein Monster, und sie hat nichts davon gemerkt, weil sie zu faul und zu dumm war. Wäre sie klüger gewesen, hätte sie die Welt warnen können.
    Ihr wird kalt unter dem Parka.
    Sie ist schuldig.
    »Man sieht es Menschen wie ihm nicht an«, tröstet Len sie. Aber dann insistiert er doch: »Gab es irgendwelche Anzeichen?«
    »Nein.« Aber in diesem Moment weiß sie, dass das nicht stimmt. Da waren Blicke, die sofort an ihr abglitten, wenn sie den Kopf gehoben hat. Einmal hat er sie morgens wach gerüttelt, weil sie wieder einmal verschlafen hatte, und da war etwas gewesen … Es war, als würde sie fallen, wie in einem Albtraum. Sie erzählt das Len, während sie an einer Reihe von Einfamilienhäusern entlangschlendern. Die Worte kommen stockend, sie denkt beim Reden nach, sie spürt, dass es wichtig ist.
    »Seine Hand war irgendwie so heiß …«
    »Heiß?«
    »Ja, wie …«
    »Feuer?«
    »Nein.« Sie überlegt wieder, sehr konzentriert. »Eher elektrisch. Wie ein … Vibrieren.«
    »Du darfst kein schlechtes Gewissen haben«, sagt er.
    Und sie glaubt ihm. Ihre Geschichte wird immer mehr zur Anekdote, ihr Vater und alles, was mit ihm verbunden ist, all das Schreckliche ist jetzt weiter weg, sie kann es sorgfältig prüfen und sieht jetzt viel mehr, also das ganze Bild oder wenigstens einen Teil davon, nicht mehr nur einzelne zusammenhanglose Farbkleckse, die sie verwirren, statt etwas zu erklären.
    »Er ist böse und gut«, sagt sie.
    Len sieht sie an. Er bleibt stehen und sieht sie an und sie glaubt, in seinen braunen Augen zu versinken. Sein Mund senkt sich auf ihren herab, seine Lippen fühlen sich rau an, als er sie auf die ihren presst.

8
    Sie schläft. Wacht auf. Schläft oder ist wach, träumt oder weint. Ihre Augen fühlen sich riesengroß an, weil sie wachsen müssen, um die Dunkelheit zu durchdringen. Sie sind nass oder verkrustet oder beides. Ihre Wärter kommen, und sie fügt sich wieder einmal dem Unvermeidlichen, weil es ja so aussieht, als würde sie einfach nicht sterben.
    Sie hat versucht zu sterben. Aber sie weiß nicht, wie. In ihrer Verzweiflung hat sie versucht, die Luft anzuhalten, einfach nicht mehr zu atmen. Aber das hat nicht funktioniert. Etwas in ihr will leben, unbedingt. Etwas in ihr leistet Widerstand.
    Sie hat dann versucht, ihren Kopf an der Wand zu zerschmettern. Sie hat den Kopf gesenkt und Anlauf genommen. Es gab einen Aufprall, dass ihr Hören und Sehen verging, und dann fiel sie auf den Boden, war ein paar Minuten lang betäubt, lag da mit heftig blutender Stirn und irrsinnigen Kopfschmerzen, aber nicht tot.
    Sie ist einfach nicht totzukriegen.
    Sie ist wie Ungeziefer. Hässlich, verabscheuenswert, aber zäh. Ihre Gedanken wandern herum und landen im Garten ihrer Eltern, giftgrün mit giftgelben Blumen, ihre Mutter kniet auf dem Rasen und gräbt Löwenzahn und Ambrosiapflanzen aus, mit verbissener Miene und zornigen Bewegungen.
    Das Zeug ist einfach nicht totzukriegen.
    Ihr Vater, mit müder Stimme: Warum wartest du nicht, bis der Gärtner kommt?
    Weil du ihn wieder zu spät bestellt hast. Wenn Löwenzahnabgeblüht ist, ist es zu spät, dann verteilt dieses Scheißzeug überall seine Samen.
    Der Gärtner kommt morgen!
    Ja. Zu spät!
    Sie schabt sich am Boden, kratzt sich, kratzt ihre Krusten auf, aber die Wärter packen sie, jeder an einem Arm, und es folgt das Ritual. Die Dusche, die Seife, das Föhnen der Haare, der herrliche Geruch nach Sauberkeit und Parfum, den sie genießt, obwohl sie genau weiß, was wieder passieren wird.
    Dann die Autofahrt, die Übelkeit, das Erbrechen, der süßlich-ekelhafte Geruch.
    Und doch ist etwas anders. Da sie nichts sieht, sind ihre übrigen Sinne geschärft, und sie spürt etwas – Nervosität vielleicht. Die Stimmen, die

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