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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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Leo Vanderfart Sinas Gedanken. Vor ihm liegt die geöffnete Leiche des Mädchens, hinter ihm befinden sich in mehreren Metallgefäßen das Herz, die beiden Lungenflügel, der Magen. Alle Organe weisen tiefe Schnittverletzungen auf.
    Die Haut der Bauchregion ist wie ein in der Mitte zerschnittenesTuch nach beiden Seiten zurückgeschlagen, man sieht die im starken Neonlicht weißlich leuchtenden Rippen und darunter die leere Bauchhöhle. Nur der Darm befindet sich noch im Körper. Vanderfart hebt ihn vorsichtig aus dem Körper, sucht ihn nach Schnitten ab. Da der Darm eines ausgewachsenen Menschen etwa acht Meter lang ist, dauert das eine Weile.
    Nach ein paar Minuten schüttelt er den Kopf: Der Darm ist unversehrt. Sina nickt; der Geruch ist überwältigend, man gewöhnt sich nie daran.
    »Was wollte er?«, fragt Sina.
    Vanderfart antwortet nicht. Er starrt in die Luft, wirkt konzentriert.
    »Er beabsichtigt etwas damit«, sagt Sina währenddessen. »Was?«
    »Willst du meine Meinung hören?«, fragt Vanderfart schließlich, als wäre er aufgewacht. Er begibt sich zur Spüle, zieht die dünnen, blutverschmierten Chirurgenhandschuhe ab, dreht das Wasser an und wäscht sich sorgfältig die Hände, seift jeden Finger einzeln ein. Es sieht aus wie eine Meditation.
    »Wir haben eine Serie«, ruft er über das Wasserrauschen hinweg.
    »Wirklich«, sagt Sina matt. Sie sieht zu Gronberg, der auf seinem Stuhl eingenickt ist – kein Wunder, es ist vier Uhr morgens, keiner von der Sonderkommission hat diese Nacht auch nur eine Minute geschlafen.
    Was will der Täter?
    »Das Ganze hat nur Sinn, wenn jemand Lukas Salfeld ins Gefängnis bringen will«, sagt Sina in den strahlend weiß gefliesten Raum hinein, zu Vanderfarts Rücken, der sich immer noch an der Spüle zu schaffen macht. Sein grauer Zopf scheint im starken Neonlicht silbrig zu leuchten.
    »Was tust du da eigentlich, Leo?«, fragt Sina. Sie hört sich selbst sprechen, es klingt blechern und rau. Sie ist so müde, dass sich die Konturen um sie herum aufzulösen scheinen, alsgäbe es eine Welt dahinter, schmutzig, elend und grausam, die sich mit gnadenloser Unaufhörlichkeit ihren Weg in die glatte Oberfläche der Wirklichkeit bahnt.
    Plötzlich sitzt Vanderfart vor ihr und sie zuckt zusammen, reißt die Augen auf.
    Er hält sie an den Schultern fest, sie riecht sein Aftershave.
    Es ist gut. Auch seine Hände fühlen sich gut an.
    »Sekundenschlaf«, sagt Vanderfart und grinst sie an. »Gut, dass du nicht am Steuer sitzt.«
    Er lässt sie los, aber es ist schon passiert. Sie bewegen sich aufeinander zu, es ist nicht mehr zu vermeiden, die Berührung hat alles geklärt und gleichzeitig extrem kompliziert gemacht.
    Vanderfart ist verheiratet.
    Aber das spielt jetzt keine Rolle.
    Sina lehnt sich nach vorn, legt ihren Kopf an seine Schulter, er hebt sanft ihr Kinn an und sie küssen sich. Stehen auf und küssen sich weiter, immer weiter, während Gronberg in grotesk schiefer Haltung auf seinem Stuhl vor sich hin schnarcht.
    Vanderfarts Lippen sind warm und fest, seine Zunge ist sanft. Er drückt Sina an die kühle, weiße Wand, presst seinen Körper an sie, als wollte er jeden Zentimeter spüren, und Sina ist jetzt alles egal, die Leiche, die abgedeckt auf einer Rollbahre liegt, der schnarchende Gronberg, der Fall, die Tatsache, dass Lukas Salfeld aus ihrer Sicht als Täter ausscheidet – ja, ausscheidet , denkt sie zum ersten Mal in aller Klarheit, weil das, was er tut, idiotisch ist, und Lukas Salfeld ein Mörder, aber kein Idiot ist …
    Sie sitzt ohne Stiefel und Strumpfhosen, aber dafür im Daunenmantel auf einem stabilen Metalltisch, und Vanderfart ist in ihr, kostet jede Bewegung aus, atmet leise in ihr Ohr, und Sina passt sich an, lässt sich treiben, treibt ihn voran, und als sie kommt, passiert das in aller Stille, kein Schreien, kein Stöhnen, kein Getue, nur ein Gefühl, dass alles richtig ist.
    Und ein inneres Zittern, weil das Gefühl so intensiv ist, dass es fast wehtut.
    Danach wäscht Vanderfart sie mit der gleichen Gründlichkeit wie vorhin die Hände, und sie lässt sich das mit hängenden Beinen gefallen, sieht ihm zu, wie er sie einseift, mit einem mit warmem Wasser getränkten Lappen abwischt und sie danach penibel abtrocknet, bis sie sich anziehen kann.
    »Ich bin verheiratet«, sagt Vanderfart, während er sich neben sie auf den Metalltisch setzt, wo normalerweise die Knochensäge und Skalpelle in unterschiedlichen Stärken und Größen aufgereiht

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