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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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Dann wache ich morgens auf und kann mich an nichts mehrerinnern, und dann bin ich für ein paar Tage nicht mehr die Alte. In den letzten Tagen habe ich jede Nacht geträumt.«
    »Aber du weißt nicht, was?«
    »Nein, ich erinnere mich nur an die Angst. Die begleitet mich dann. Wie ein … Stalker.« Meret lächelt über den Vergleich. »Ich krieg sie nicht mehr los. Sie geht einfach nicht weg. Sie ist immer hinter mir.« Sie deutet auf ihre rechte Schulter.
    »Da sitzt sie.«
    »Die Angst?«
    »Ja.«
    »Du weißt gar nichts mehr?«
    »Nichts. Da ist ein schwarzes Loch. Sie haben es mir natürlich erzählt. Ich weiß, was sie erzählt haben.«
    »Was war das?«
    »Die Polizei hat mich gefunden, weil jemand meine Schreie gehört hat. Das haben sie gesagt.«
    »Du glaubst ihnen nicht.«
    »Nein. Ich habe vorher monatelang geschrien und nichts ist passiert.«
    »Wo hat man dich gefangen gehalten?«
    »In einem Mietshaus im Norden. Ein heruntergekommener Kasten. In der Nähe der Psychiatrie.«
    »Liliengrund.«
    »Ja.«
    »Kannst du mir das Haus zeigen? Weißt du die Adresse?«
    »Keine Ahnung, Sina. Das Haus ist vor ein paar Jahren abgerissen worden. Die Polizei hat gesagt, dass schon damals viele Wohnungen leer gestanden haben. Deswegen hat mich auch keiner gehört. Ich war irgendwo im Keller. In einem Kellerraum.«
    »Woher weißt du, dass das Haus abgerissen wurde, wenn du dich an die Adresse nicht erinnerst?«
    Meret sieht sie an, stumm.
    »Ist schon gut«, sagt Sina.
    »Ich weiß die Adresse nicht mehr.«
    »Macht nichts.«
    »Vielleicht erinnere ich mich später daran.«
    »Haben sie dir gesagt, wer dich gehört hat? Wer war der Zeuge? Oder war es eine Frau?«
    »Ich wollte es nicht wissen.«
    »Sie hätten es dir trotzdem sagen müssen.«
    »Vielleicht.«
    »Und die Täter? Wer war es?«
    »Sie haben die Täter nicht gefasst. Es gab ein paar Gegenüberstellungen. Aber ich habe niemanden erkannt. Ich konnte ja niemanden sehen. Das Ganze ist im Sand verlaufen.«
    »Im Sand verlaufen? So etwas Ungeheuerliches? Das kann gar nicht sein.«
    »Es waren Journalisten da. Sie wollten mit mir reden. Aber meine Eltern haben mich abgeschirmt. Dann irgendwann …«
    »Ja?«
    »Ich weiß nicht, es hat einfach niemand mehr darüber geredet.«
    »In welchem Zustand warst du? Direkt nachdem sie dich gefunden hatten?«
    »Ich habe gar nicht gefragt. Ich weiß ja, wie ich ausgesehen haben muss. Ich war …«
    »Du hast dich geschämt.«
    Es ist eine Feststellung, keine Frage. Etwas in Sina will, dass Meret sich nicht weiterhin so ungerührt zeigt. Niemand, der sie beobachtet, würde auch nur ahnen, worüber sie gerade sprechen.
    Und tatsächlich passiert etwas mit Meret. Sie senkt die Augen, nimmt einen Salzstreuer, spielt geistesabwesend damit herum. Plötzlich wirkt sie matt und älter als sie ist. Sina beugt sich vor, versucht, ihren Blick zu erhaschen.
    »Hast du dich geschämt?«
    »Meine Mutter hat mich nicht erkannt. Sie kam ins Revier, um mich zu holen, und sie hat gesagt: ›Das ist sie nicht.‹« Meret hebt den Kopf, sieht Sina an, ihre Augen sind jetzt ganz nackt, ihr Blick ist unverstellt.
    »Es tut mir so leid«, sagt Sina.
    »Ja«, sagt Meret. »Danke«, fügt sie hinzu, und es klingt wie eine Höflichkeitsformel, das, was man eben sagt, wenn einem kondoliert wird, in dem Wissen, dass Mitgefühl nichts nützt, aber immerhin gut gemeint ist.
    Der Averna wird an den Tisch gebracht. Meret nimmt einen eingeschweißten Zahnstocher, befreit ihn von der Verpackung und drückt die Eiswürfel und die Zitrone ins Glas.
    »Sie hätten sich schämen müssen, nicht du«, sagt Sina, aber sie weiß, dass Meret das auch weiß und es trotzdem nicht empfindet. Scham ist nichts, was der Verstand abstellen kann.
    »Ich bin in eine andere Schule gekommen«, sagt Meret. Sina erinnert sich, von diesem Schulwechsel gelesen zu haben. Über das, was Meret passiert ist, steht hingegen nichts in ihrer Akte, kein Wort, nichts über die Ermittlungen und wohin sie führten oder nicht führten.
    Warum nicht? Wer hat das gelöscht und weshalb?
    Die Vorfälle sind ein Vierteljahrhundert her, die Taten sind seit kurzer Zeit verjährt. Das heißt, jemand muss vor kurzer Zeit aktiv geworden sein.
    Wer und warum?
    »Ich bin in eine andere Schule gekommen, weil ich nicht wollte …« Meret verstummt.
    »Niemand sollte wissen, was dir passiert war?«, fragt Sina.
    »Sie hätten nicht mehr mit mir geredet. Ich hatte das Kainsmal auf der Stirn. Verdorben durch

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