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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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Abtropfgitter. Ich bin jetzt Leander Kern und überlege mein weiteres Vorgehen.
    Ich liege auf dem unbequemen Sofa und starre ins Dunkel. Ich bin vollkommen konzentriert und tue das, was ich in den letzten Tagen vermieden habe. Ich begebe mich in die Niederungen meiner Albträume.
    Ich laufe nicht mehr davon, ich stelle mich.
    Ich verwandle mich. Ich bin jetzt der Täter nach der Tat. Das heißt: Meine Lust hat sich ins Gegenteil verkehrt und mich ekeln meine blutigen Ausschweifungen. Ich mache meine Augen zu, und mit geschlossenen Augen fühle ich es. Nicht nur Selbsthass bis zu Auslöschungsfantasien, auch den Wunsch, alles ungeschehen zu machen, von vorne anzufangen.
    Wieder rein zu sein, vom feurigen Höllengrund geläutert aufzusteigen in die helle, gemäßigt klimatisierte, distanziert freundliche Oberwelt.
    Ich erkenne, dass es sinnlos ist, morgen Abend nach Leander Kern zu suchen. Er wird etwas Zeit verstreichen lassen, denn seine Gelüste sind fürs Erste gestillt, ja, übererfüllt. Aber nicht sehr viel länger als ein paar Tage. Höchstens eine Woche, überlege ich. Denn er kann nicht wissen, wann die Polizei mich findet. Im Moment ist er in der komfortablen Situation, in meinem Windschatten morden zu können. Das hört auf, sobald ich in Gewahrsam bin.
    Dann muss Leander Kern aufhören, wenn er mich nicht entlasten will.
    Ich, Leander Kern, kehre nun in mein bürgerliches Leben zurück.
    Wie könnte das aussehen?
    Leander Kern hat seine Opfer via Facebook kontaktiert. Das kann auf einen jüngeren Mann hinweisen, muss aber nicht. Pädophile suchen längst auch auf Facebook nach jugendlichen Opfern – Leander Kern könnte ohne Weiteres in meinem Alter sein. Warum ich das nicht glaube, ist mir selbst nicht ganz klar. Wenn ich an ihn denke, denke ich an einen jungen Mann. Nicht hässlich. Nicht hübsch. Unauffällig. Nicht unsympathisch. Durchaus attraktiv.
    Mädchen mögen Leander Kern, aber er ist fixiert auf einen Typ. Pagenkopf, lilienweiße Haut, schlank, eher zurückhaltend. Beide Opfer könnten Schwestern sein.
    Wie lebt Leander Kern, wenn er nicht tötet?
    Wo versteckt er seine Opfer?
    Wo würde ich sie verstecken?
    Ich erinnere mich, langsam und schmerzvoll: an die Lagerräume im Hafen. Es gibt welche, deren Standort ideal für solche Zwecke ist. Man kann sie mieten, sie sind teilweise mit Wasser und Elektrizität ausgestattet. Das alles habe ich recherchiert,nachdem ich Silvia Johansson das erste Mal gesehen habe.
    Ich setze mich auf, hellwach. Stehe auf, ziehe mich an, nehme den Zweitschlüssel, den Vassilis mir gegeben hat. Ich lasse mich nicht von dem Gedanken abhalten, dass selbst wenn Leander Kern seine Opfer in einem dieser Container massakriert hat, er den Container kaum offen stehen lassen wird.
    Und was, wenn die Polizei auf denselben Gedanken gekommen ist und das Gebiet überwacht?
    Ich mache leise die Haustüre auf und schließe sie von außen mit dem Schlüssel, um möglichst wenig Geräusche zu verursachen.
    Draußen springt mir die Kälte ins Gesicht, krallt sich an meiner Haut fest, würgt mich, dass ich kaum Luft kriege. Ich ziehe die Mütze über meine Ohren, maskiere mich mit dem Schal und laufe los, durch den rutschigen, vereisten Schnee. Der Himmel ist sternenklar, lauter platinfarbene Punktaugen, die mich spöttisch blinzelnd beobachten.

7
    Leo Vanderfart, der Rechtsmediziner, ist zehn Jahre jünger als Gronberg, sieht aber zwanzig Jahre fitter aus. Er hat einen dichten grauen Pferdeschwanz, der ihm bis zum Rücken reicht, seine Augen sind hellblau und die Arme muskulös, als würde er regelmäßig trainieren. Was er sicher tut, denn er ist eitel: Sina fällt nicht zum ersten Mal auf, dass seine Haut so gleichmäßig gebräunt ist, wie man das nur mithilfe einer Sonnenbank hinbekommt.
    Wenn man ihn aber danach fragen würde, würde er es abstreiten, also lässt sie es sein.
    Und auch, weil es ihr egal ist.
    Zu viel ist ihr egal in letzter Zeit, während sie andere Dinge wiederum extrem beschäftigen. Zum Beispiel, dass Meret ihr nicht erzählt hat, dass sie aus Leyden stammt. Sie ist hier geboren und aufgewachsen, und sie hat zwei Gymnasien in Leyden besucht, bevor sie nach New York ging. Seit vier Jahren lebt sie wieder hier.
    So viel hat Sina herausbekommen. Es gibt keine behördlichen Erkenntnisse darüber, wann Meret Leyden das erste Mal verlassen hat.
    Warum hat sie so getan, als wäre sie eine Zugereiste?
    »Multiples Organversagen aufgrund eines Traumas«, unterbricht

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