Das falsche Urteil - Roman
Menhevern, Sie haben das falsch verstanden...«
»Sie sind die schlimmste Sorte, wissen Sie das? Wo Sie nicht mal wagen, mir in die Augen zu blicken. Telefonschweine! Wenn ich Sie hier vor mir hätte, dann würde ich...«
Erschrocken legte Rooth auf. Saß dann eine halbe Minute bewegungslos da ... als könne die geringste Unvorsichtigkeit ihn verraten. Er starrte aus dem Fenster in den dunkler werdenden Abendhimmel über der Stadt.
Nein, dachte er. Ich komme bei Frauen einfach nicht an. So ist das eben.
Danach beschloss er, Claus Menhevern von der Liste der potenziellen Opfer zu streichen. Genau besehen gab es damit nur noch eins.
Münster hielt vor dem arg heruntergekommenen Haus in der Armastenstraat. Er blieb noch einen Moment im Wagen sitzen, dann überquerte er die Straße und ging ins Haus. Der unverkennbare Geruch von Katzenpisse hing im Treppenhaus, an den Wänden klafften große Löcher, wo der Verputz es nicht mehr ausgehalten hatte. Unten auf dem Klingelbrett hatte er keinen Pierre Kohler gefunden, aber das hatte ebenso unzuverlässig gewirkt wie das restliche Haus, deshalb wollte er sich alle Türen einzeln ansehen.
Im vierten Stock hatte er Glück.
Pierre Kohler
Margite Deling
Jürg Eschenmaas
Dolomite Kazaj
stand auf einem handgeschriebenen Zettel über dem Briefschlitz.
Er drückte die Klingel. Nichts passierte, vermutlich funktionierte die nicht mehr. Also klopfte er zweimal. Nach einer knappen Minute hörte er Schritte, dann wurde die Tür von einer Frau in den Fünfzigern geöffnet. Ihr übergewichtiger Leib steckte in einem lose hängenden lila Bademantel, und sie musterte Münster abschätzend von Kopf bis Fuß.
Offenbar beeindruckte dieser Anblick sie nicht weiter.
Münster ging es ebenso.
»Ich bin von der Polizei«, sagte er und zeigte für eine Zehntelsekunde seinen Dienstausweis vor. »Es geht um eine Vermisstenmeldung. Darf ich hereinkommen?«
»Nur mit Hausdurchsuchungsbefehl«, sagte die Frau.
»Danke«, sagte Münster. »Wir haben nicht weit von der Stadt entfernt in einem Wald einen Leichnam gefunden, bei dem es sich um den seit August letzten Jahres vermissten Pierre Kohler handeln kann.«
»Warum glauben Sie das?«, fragte die Frau und spielte mit dem Gürtel ihres Bademantels.
»Na ja, das wissen wir natürlich nicht«, sagte Münster. »Wir überprüfen nur alle Vermisstenmeldungen ... das Alter scheint zu stimmen, die Größe auch, es ist also eine reine Routinefrage. Es gibt ansonsten keinen Grund zu der Annahme, dass er es ist.«
Warum bin ich zu dieser Kuh bloß so verdammt höflich, dachte er. Ich hätte sie von Anfang an ordentlich in die Mangel nehmen müssen.
»Und?«, fragte sie und steckte sich eine Zigarette an.
»Es gibt da ein Detail«, sagte Münster.
»Ein Detail?«
»Ja, mit dem wir ihn wohl identifizieren können ... der Tote, den wir gefunden haben, hat keinen Kopf, verstehen Sie? Das macht es so schwer ihn zu identifizieren.«
»Ach.«
Ein Mann war hinter sie getreten. Er nickte Münster mürrisch zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Was für ein Detail?«, wollte er wissen.
»Hrm«, sagte Münster. »Ja, also, unserem Opfer fehlt ein Hoden ... ist vermutlich vor langer Zeit entfernt worden. Wissen Sie vielleicht ...«
Der Mann fing an zu husten, und Münster verstummte. Nach dem Hustenanfall ging ihm auf, dass es wohl eher ein Lachanfall gewesen war. Der Mann lachte nämlich. Und die Frau auch.
»Also, Herr Oberpolizist«, sagte der Mann und schlug sich mit den Fingerknöcheln an die Stirn. »Das hier ist mein Kopf. Wenn Sie meine Eier zählen wollen, dann müssen Sie hereinkommen. Ich bin Pierre Kohler.«
Warum zum Teufel habe ich nicht einfach angerufen, fragte sich Münster.
Als er zu Hause das Gute-Nacht-Märchen vorgelesen hatte, rief Rooth an.
»Wie war’s bei dir?«, fragte er.
»Er ist es nicht«, sagte Münster. »Er lebt bei bestem Wohlergehen. Sie hatten einfach vergessen, Bescheid zu sagen.«
»Eiwei«, sagte Rooth.
»Und deiner?«
»Ebenso, nehme ich an«, seufzte Rooth. »Ein Hoden scheint ihm jedenfalls nicht zu fehlen. Und seine Frau auch nicht. Ist wohl einfach abgehauen.«
»Ach«, sagte Münster. »Und was machen wir jetzt?«
»Ich hab mir eins überlegt«, sagte Rooth. »Was diese Verstümmelungen angeht, meine ich. Entweder haben Füße
und Hände irgendwelche Kennzeichen aufgewiesen oder alles war noch einfacher.«
»Einfacher?«
»Fingerabdrücke«, sagte Rooth.
Münster
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