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Das falsche Urteil - Roman

Das falsche Urteil - Roman

Titel: Das falsche Urteil - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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diesen bizarren Prozess vor sein inneres Auge zu rufen, aber die Bilder, die zögernd erschienen, waren unklar und weit über die Grenze des Begreiflichen hinaus abstrakt.
    Irgendwann während seiner Beschäftigung mit diesem verworrenen Geflimmer musste er dann eingeschlafen sein; die unklare Filmvorführung aus seinen Darmregionen ging noch eine Weile weiter, doch nach und nach wurde dann alles deutlicher. Das Bild wurde wieder scharf, der Schauplatz war grell erleuchtet und unverkennbar: der Operationssaal mit seinen grün gekleideten geheimnisvollen Gestalten, die unter hypnotisch tiefer Konzentration schweigend umherglitten. Nur das dünne, scharfe Funkeln der spitzen Instrumente, die geschliffen oder in harte Metallschalen gelegt wurden, durchbrach dann und wann die verschwörerische Stille.
    Und er lag da, nackt und preisgegeben auf dem kalten Marmortisch, und plötzlich wusste er, dass alles schon vorbei war, dass hier durchaus nicht die Rede von einer Operation war, dass stattdessen alles in dem vertrauten und kühlen Obduktionssaal der Gerichtsmedizin vor sich ging, wo er Meusse und dessen Kollegen so oft bei der Arbeit zugesehen hatte.
    Und er näherte sich dem Tisch und den eifrig schlitzenden und schneidenden Gestalten und begriff, dass nicht
er dort liegen konnte, sondern irgendein wildfremder Unglückswurm. Nein, vielleicht doch nicht so fremd ... dieser kopflose Körper hatte etwas Bekanntes. Ihm schienen auch Füße und Hände zu fehlen, und als er sich endlich an Meusse und diesem bleichen, fetten Assistenten, dessen Namen er sich nie merken konnte, vorbeigedrängt hatte, sah er, dass hier nicht an einem Tisch gearbeitet wurde, sondern an einem Stück Waldboden. Einem Graben; und dass es hier auch nicht um eine Operation oder Obduktion ging, sondern dass der Leichnam einfach in einen großen, verdreckten Teppich gewickelt worden war und nun im morastigen Graben versenkt werden sollte, wo er hingehörte. Wo alles hingehörte. Jetzt und in alle Ewigkeit.
    Und dann war er es doch selber, der im Teppich steckte. Er konnte keinen Laut herausbringen, konnte kaum atmen, hörte aber das erregte Flüstern der anderen: »Hier wird er gut liegen! Niemand wird ihn jemals finden. Ein ganz und gar überflüssiger Mensch. Warum sollten wir uns um so einen Sorgen machen?«
    Und er schrie sie an, sie sollten ... sich an ihre moralische Verantwortung erinnern. Ja, genau das schrie er, aber viel kam nicht dabei heraus, denn der Teppich war so dick und die anderen gingen schon weg und es war ungeheuer schwer, sich ohne Kopf Gehör zu verschaffen.
     
    Die Frau packte ihn am Arm. Er öffnete die Augen und wollte noch einmal rufen, sie müsse sich auf ihre moralische Verantwortung besinnen, doch dann ging ihm auf, dass er wach war.
    Die Frau sagte etwas und ihre Augen schienen von Mitleid erfüllt zu sein. Oder von etwas Ähnlichem.
    Bin ich tot, fragte sich Van Veeteren. Die Frau hatte im Grunde doch sehr viel von einem Engel. Unmöglich war das also nicht.
    Aber sie hielt einen Telefonhörer in der Hand. Das kam
ihm reichlich weltlich vor, und er sah ein, dass er vermutlich noch nicht einmal operiert worden war. Dass noch Morgen war, und dass er noch alles vor sich hatte.
    »Telefon«, sagte sie noch einmal. »Ein Anruf für den Kommissar.«
    Sie reichte ihm den Hörer und trat vom Bett zurück. Er räusperte sich und setzte sich halbwegs auf.
    »Ja?«
    »Kommissar?«
    Es war Münster.
    »Ja, am Apparat.«
    »Entschuldige, dass ich dich im Krankenhaus störe, aber ich habe gehört, die Operation findet erst um elf statt ...«
    »Und wie spät ist es jetzt?« Er hielt an den leeren Wänden nach einer Uhr Ausschau, konnte aber keine finden.
    »Zwanzig nach zehn.«
    »Ach?«
    »Ich wollte nur sagen, dass wir wissen, wer er war ... das schien den Kommissar doch ein klein wenig zu interessieren.«
    »Du meinst die Leiche im Teppich?«
    Für einen Bruchteil einer Sekunde war er wieder in seinen Traum hineinversetzt.
    »Ja. Wir sind also ziemlich sicher, dass wir es mit Leopold Verhaven zu tun haben.«
    »Was?«
    Für einen Moment war Kommissar Van Veeterens Bewusstsein einfach leer. Eine sorgfältig blank polierte Stahlplatte, die alles abstieß und von nichts durchdrungen werden konnte.
    »Was zum Teufel hast du da gesagt?«
    »Leopold Verhaven eben. Der ist es. Ich gehe davon aus, dass der Kommissar sich an ihn erinnert?«
    Drei Sekunden vergingen. Die Stahlplatte weichte auf und ließ Informationen

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