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Das falsche Urteil - Roman

Das falsche Urteil - Roman

Titel: Das falsche Urteil - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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erwähnt.«
    »Ich streite alles ab«, sagte Van Veeteren.
    Wie Mahler musste auch Jess lachen, und dann hatte er Schulfranzösisch mit zwei Dreijährigen gesprochen, die ebenfalls energisch mit einem Besuch gedroht hatten. Wenn er sie richtig verstanden hatte. Und sie schienen ziemlich gut informiert zu sein, das musste er einfach zugeben.

    »Man kriegt eine Spritze, dann schläft man ein«, sagte das eine Kind.
    »Und die Toten werden in den Keller gesteckt«, sagte das andere.
    Als auch das überstanden war, hatte er sich auf den Weg zum Krankenhaus machen müssen. Er hinterlegte wie üblich seinen Schlüssel zwei Treppen tiefer bei Frau Grambowska, und auch diese weißhaarige getreue Gehilfin erschien ihm an diesem Abend in einem seltsam versöhnlichen Licht. Sie umfasste mit beiden Händen seine Hand und streichelte sie zärtlich, eine Geste, wie sie in all den Jahren ihrer Bekanntschaft noch nicht vorgekommen war.
    »Machen Sie es gut«, sagte sie. »Und seien Sie vorsichtig!«
    Ich werde sie alle enttäuschen, wenn ich das überstehe, dachte er und stieg ins Taxi. Kein schlechter Rat, übrigens. Vorsichtig sein! Wenn er erst einmal betäubt und aufgeschlitzt dalag, durfte er auf keinen Fall etwas Übereiltes tun. Daran musste er denken!
    Er überlegte sich, dass Erich im Grunde der Einzige war, der nichts von sich hatte hören lassen, aber vielleicht hatte er es früher am Nachmittag versucht. Das Spiel mit Münster und der Besuch bei Adenaar hatten ihre Zeit gedauert und er war höchstens zwei Stunden zu Hause gewesen. Und im Gefängnis durfte man sicher nicht zu jeder Zeit telefonieren, nahm er an.
     
    In dem blassgelben Zimmer, in das die Schwester ihn führte, standen zwei Betten, aber das andere war leer, so dass er allein und ungestört mit seinen Gedanken daliegen konnte.
    Und die waren zahlreich und wechselhaft. Und heftig genug, um den Schlaf auf Distanz zu halten. Mit Hilfe der Telefongespräche suchte er vorsichtig den Weg zurück durch die Zeit; es war keine aktive Suche, seine Gedanken zogen ihn mit sich und bald fing er an, sich an alle Schmerzpunkte und Freudenkörner im Leben zu erinnern, er versuchte zu verstehen,
was ihn eigentlich zu dem Menschen gemacht hatte, der er war ... falls eine dermaßen infantil vereinfachte Fragestellung überhaupt zulässig war. Auf jeden Fall schien es höchste Zeit zum Nachdenken zu sein; so, als verfasse er seine eigene Grabinschrift, ging ihm auf – seinen eigenen Nekrolog, mit umgekehrten, wahrheitsgetreuen Vorzeichen. Oder Fragezeichen.
    Aus der Erinnerung.
    Ex memoriam.
    Wer bin ich? Wer war ich?
    Eine Antwort ließ sich natürlich nicht finden; abgesehen davon, dass es für alles viele Ursachen zu geben schien. Die ihn alle auf unklare Weise in dieselbe unbarmherzige Richtung gezogen hatten.
    Sein Vater, diese zutiefst tragische Gestalt (aber Kinder sind ja blind für die Größe in der Tragik), der ihn so stark geprägt hatte. Der ihm mit so sicherer und fester Hand die Lehre eingeschärft hatte, dass wir uns vom Leben nicht die geringste Kleinigkeit erwarten dürfen. Nichts ist von Dauer, es gibt nur kurze Strecken, pure Willkür, reinen Zufall und Finsternis.
    Ja, ungefähr so, wenn er ihn richtig verstanden hatte.
    Seine Ehe; fünfundzwanzig Jahre mit Renate. Das hatte immerhin zu zwei Kindern geführt, und das war wirklich das Große daran. Das eine saß im Gefängnis und würde auf diesem Weg wohl weitergehen, aber Jess und die Enkelkinder waren auf jeden Fall ein unerwarteter grüner Zweig an diesem kranken alten Baum. Das ließ sich einfach nicht leugnen.
    Die Toten werden in den Keller gesteckt!
    Der Dienst; ja, wenn nichts anderes ihn hierher geführt hatte, so mussten doch an die fünfunddreißig Jahre Sisyphosarbeit im Dienste der Gesellschaft und der Schattenseiten des Lebens irgendwelche Wirkung gezeitigt haben.
    Doch, es gab bestimmt Zusammenhänge.

    Er schob die Hand unter den gestärkten Bettbezug und strich sich über den Bauch. Da ... da saß es irgendwo, gleich rechts vom Nabel, wenn er das richtig verstanden hatte. Und dort würde der Eingriff erfolgen.
    Er drückte vorsichtig zu. Spürte, wie der Hunger sich einstellte, wie auf einen Knopfdruck hin, er hatte seit sechs Uhr abends nichts mehr essen dürfen, und nun fiel ihm ein, dass er bereits seit dem Mittag gefastet hatte. Vermutlich versuchten seine Darmzotten in zähem, vergeblichem Kampf den letzten Biertropfen von Adenaar ihren Saft zu entlocken ... er versuchte sich

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