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Das Familientreffen

Das Familientreffen

Titel: Das Familientreffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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Sie nicht.
    »So sehr«, möchte er sagen, »so sehr liebe ich dich schon.«
    »Hallo. Hallo da drinnen.«
    Der Concierge kommt aus dem Dunkel seines Hinterzimmers herbeigeschwebt.
    »Haben Sie so was wie einen heißen Rum für den Kutscher? Für den Mann da draußen?« Sie dreht sich zu Nugent um und sagt: »Ich weiß gar nicht, warum ich das für ihn tue, er ist nie da, wenn man ihn braucht. Wahrscheinlich, um zu verhindern, dass er sich davonstiehlt.«
    Dann geht sie zurück zu ihrem Stuhl an der Tür. Schließlich ist sie erst neunzehn. Und er ist erst dreiundzwanzig.
    »Ich habe einen Freund, der ein Auto hat«, sagt er wie aus heiterem Himmel.
    »Ach ja?« Sie bleibt stehen, interessiert und gönnerhaft.
    »Er müsste jede Minute hier sein, eigentlich müsste er schon jetzt hier sein.«
    »Ich würde so gern mal Auto fahren«, sagt Ada. »Bin ganz verrückt danach, mal Auto zu fahren.«
    Und sie schwenkt herum, um sich auf ihren Stuhl zu setzen.
    Ach, hätte er doch nur ein Seil, um den Stuhl unter ihr wegzuziehen – dann könnte Nugent zu ihr hinübergleiten, um sie in seinen Armen aufzufangen. Sie könnten sich in Schwarz-Weiß küssen, wobei sie sich entwinden würde für den Zwischentitel:
    Halt!
    Denn es ist nicht nur Fastenzeit, sondern Frühling. Was wollen Sie mehr? Ada Merriman ist schön und Lamb Nugent nicht besser, als er sein sollte, und das ist alles, was wir wissen müssen – dass er, als sie zur Tür hereinkam und sich mit so ruhiger Anmut auf den kleinen Stuhl mit der ovalen Rückenlehne setzte, ein Leben vor sich sah, in dem keiner dem anderen etwas schuldig blieb. Nicht die kleinste Kleinigkeit.
     
    Draußen fährt ein Auto vor. Nugent hört das Pochen des Motors, und der Blick, den er Ada zuwirft, wird zu einem Blick voll Schmerz und Abschied – so als sei ihre Lage irgendwie aussichtslos. Aber sie ist nicht aussichtslos, und die Bestürzung, die jetzt zwischen ihnen aufflackert, ist nur eine andere Art von Entzücken.
    Es gibt nichts, wobei sie allein sein werden. Jetzt nicht mehr.
    Gemeinsam drehen sie sich um, als Charlie Spillane durch die Tür tritt, vom Alkohol verwegen, munter von gebrochenen Versprechen und versäumten Verabredungen. Seine Augen mustern Nugent, der am Empfangstresen lehnt – dann lässt er sie durch den Raum schweifen, bis er die Gestalt in Blau sieht, die an der Wand bei der Tür sitzt. Oh.
    »Ma’am«, sagt er und lüftet dabei seine (imaginäre) Melone, »ich hoffe, der Kerl hier hat Sie gut unterhalten.«
    Und Ada lacht.
    Einfach so. Mit einer schwungvollen Armbewegung hat Charlie die Arithmetik des Ganzen verändert – seine Zukunft und meine Vergangenheit.
     
    Hier sind die beiden Freunde, wie sie Ada Merriman zurücklassen.
    Charlie sieht seinen Kumpel an, deutet auf die Hoteltür und geht hinaus. Er setzt sich wieder in den Bullnose Morris, nimmt seine Autohandschuhe und streift sie über. Dann reibt er sich mit ihnen das Gesicht. Reibt sich das Gesicht wie ein Mann, der keine Tränen mehr hat, zu lange mag er geweint haben. Nugent klettert neben ihn in den Wagen. Charlie zieht den Choke, müht sich einen Moment lang mit dem scharfen Ruck der vergessenen Handbremse ab und fährt los.
    Im Conways ist es dunkel. Sie drehen eine Runde um die Rotunda und halten dann wieder in der Parnell Street, wo sie im Hinterzimmer des Blue Lion – eines scheußlichen Pubs – ein Separee finden. Ein Dunst von frischen Kränkungen hängt in der Luft, aus den Latrinen im Hof dringt ein Geruch nach Verbranntem.
    »Eine Flasche Bier und eine Limonade«, sagt Charlie.
    Sie nippen an ihren Getränken, schauen sich vorsichtig die mörderische Kundschaft des Blue Lion an und sprechen über den Wagen. Charlie hat eine geringe Meinung von dem Morris, während Nugent die Maserung des Holzes und den Glanz des Messinghandlaufs herausstellt.
    Auf der Heimfahrt stemmt sich Nugent aus seinem Sitz hoch, sodass sein Kopf über die Windschutzscheibe ragt, und lässt sich den Nachtwind ins Gesicht wehen. Als sie am Green entlangrollen, wirft er einen flüchtigen Blick auf die Mädchen, die selbst in der Fastenzeit darauf warten, dass die feinen Knilche aus dem Shelbourne Hotel kommen: Ihre Gesichter, eine Reihe weißer Ovale, flattern beim Geräusch eines Wagens wie Blätter im Wind.
    Als sie in der Nähe seiner Haustür schlitternd zum Stehen kommen, lässt er sich in seinen Sitz zurücksinken.
    »Schau sie dir doch mal an, ja?«, sagt Charlie und meint damit die zerschlissene

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