Das Familientreffen
entlanggleitet, öffnet sich in der Nacht eine Lache blauen Leders. Das Verdeck ist heruntergeklappt, der Messingzierrat schimmert, wie auch Charlies Kopf. Er ist ein wunderschönes Ding, dieser Wagen – der eigentlich nicht Charlies Wagen ist, obwohl er ihn schon so lange hat, dass wir annehmen dürfen: Der Mann, der ihm den Wagen überlassen hat, kommt nicht wieder.
Dies ist der Wagen, der, als ich ein Kind war, sein Leben in Adas Garage fristete, ein Bullnose Morris mit eingerissenem altem Verdeck, wie das Verdeck eines riesigen Kinderwagens. Als ich ihn sah, war nicht mehr viel von ihm übrig, sogar die Türen fehlten. Ich saß oft auf dem Vordersitz und lauschte den Mäusen, die in der Stille eines Sommernachmittags durch den Motor huschten.
Oder Liam, der neben mir saß, machte: »Wumm wumm! Wumm wumm!«
Im Jahre 1925 ist der Wagen noch wunderschön. Mit ungeheurem Gang- und Pedalwechsel lässt Charlie den Motor aufheulen – Nugent findet, er dürfte den Wagen überhaupt nicht fahren, so sehr strapaziert er die Kupplungsfedern und -ventile mit seiner pumpenden, knirschenden Fahrtechnik. Die Vorderbremsen sind zerschlissen und schwimmen in einer Lache aus Bremsflüssigkeit auf einem Tisch in seiner Bude – zwar ist auch Nugent nicht Besitzer des Wagens, aber er liebt ihn. Wenn er im Foyer des Hotels Belvedere steht, horcht er auf das Motorengeräusch, ohne zu wissen, worauf. Unterdessen braust Charlie nur mit Hinterbremsen durch Dublin und »hat was zu erledigen«.
Er ist ein Unsteter, Charlie. Er mag keine Enden. Mag sich nicht einmal auf den Anfang von etwas einlassen. Wenn er sich einmal verliebt, dann nur deshalb, weil er merkt, dass die Liebe ihm bereits entgleitet. Mit anderen Worten, er schnappt sich Ada genau in dem Moment, als diese sich zum Gehen anschickt.
Aber Ada kennt Charlie noch gar nicht. Ada Merriman steht im Foyer des Hotels Belvedere und sieht Lamb Nugent an, während draußen Charlie Spillane in die Great Denmark Street einbiegt und seiner Frau entgegenfährt, der er noch nicht begegnet ist. Gerade will er vor der Tür des Hotels Belvedere anhalten, er ist schon fast da, als die Turmspitze der Findlater’s Church ihn an etwas anderes erinnert und er weiterdonnert zu The Hut in Phibsboro, wo er »was zu erledigen hat«.
Nugent lauscht dem verschwindenden Fahrzeug nach. Als das Motorengeräusch verebbt, entsteht eine Pause, und dann beginnt die Stille sich auszudehnen. Sie sickert ins Foyer des Belvedere; das ferne Rauschen der Straßen, die sich von Tag auf Nacht umstellen, nun, da es eindunkelt und das Trinken beginnt – andernorts. Nun, da Frauen ihre kleinen Kinder einlullen und Männer ihre Füße aus den Stiefeln ziehen und Mädchen, die schon den ganzen Abend über gearbeitet haben, sich in Hinterzimmern waschen und in einer Spiegelscherbe ihr Aussehen überprüfen, bevor sie wieder hinausgehen, um weiterzuarbeiten.
Auf der anderen Seite des Raumes atmet Ada so flach und sanft, als sei sie ein Engel, der einen Augenblick lang die Gestalt einer Puppe angenommen hat. Ihr Hals ist eine Säule, wie der Dichter sagen würde, und im Licht sind ihre geschlossenen Lippen wie gemeißelt.
Mit einem gehauchten Seufzer rutscht ein verglühtes Stück Kohle durch den Feuerrost.
Hier kommen die Toten.
Sie kauern an den Wänden und drängen sich um die letzte Hitze des Kaminfeuers: Nugents Schwester Lizzy, seine Mutter, der das Totsein gar nicht zusagt. Nugents Gespenster schilpen, leise und unbesänftigt, während Ada keinen Laut von sich gibt.
Warum ist das so?
Sie ist ein Waisenkind. Natürlich.
Hinter dem Glas der Eingangstür erscheint ein Gesicht und stößt die Tür auf. Ein bewegliches Allerweltsgesicht mit einem Bart. Es sieht sich um und zieht sich wieder zurück. Die Toten sind verscheucht, doch gleich darauf tauchen sie wieder auf, und Ada, als könne sie es nicht ertragen, erhebt sich rasch, geht hinüber zum Tresen und klingelt.
Ding dong!
Nun stehen sie – endlich! – nebeneinander am Tresen, Ada und Nugent, und Ada amüsiert sich. Ihr freies, unbefangenes Verhalten stellt für Nugent eine Beleidigung und eine Herausforderung dar – der arme Nugent, der den halben Meter, der sie trennt, stärker als jede andere Räumlichkeit empfindet. Der am liebsten jeden seiner Körperteile an jeden ihrer Körperteile drängen und darin Trost suchen würde. Der seine Hände in ihren Bauch stecken könnte, um die Hitze und das Geglitsche ihrer Innereien zu spüren.
Spotten
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