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Das Familientreffen

Das Familientreffen

Titel: Das Familientreffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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wieder mit ihm schlafe, und ich warte auf etwas anderes. Ich warte darauf, dass die Dinge sich klären.
    Also tun wir nichts. Wir teilen unsere Zeit auf. Ich zumindest. Ich nehme mir, was Tom mir vom Tag übrig lässt – und das ist eine Menge -, und lebe, während er schläft. Um sieben Uhr morgens, wenn sein Wecker klingelt, gehe ich ins Bett, und er dreht sich zu mir um und beschwert sich, dass mein Hintern so kalt ist. Er sagt: »Bist du wieder die ganze Nacht aufgeblieben?«
    »Tut mir leid.«
    Als wäre das das Problem. Als würden wir Sex haben, wenn es meinen kalten Arsch und die ewige, teuflische Unvereinbarkeit unserer Terminpläne nicht gäbe.
    Er holt die Mädchen aus dem Bett und bringt sie zur Schule, und ich schlafe bis drei Uhr, bis ich mein Gesicht am Schultor zeigen muss. Anschließend chauffiere ich sie zu ihrem Ballettunterricht, zum Volkstanzkurs, zum Reiten oder einfach nach Hause, wo sie vor dem Abendessen vielleicht fernsehen dürfen. Ich beschränke ihre Fernsehzeit – erkläre, es sei zu ihrem Besten, aber eigentlich tue ich es mir selbst zuliebe. Ich unterhalte mich gern mit ihnen. Wenn ich mich nicht mit ihnen unterhalte, habe ich das Gefühl, an etwas sterben zu müssen – nennen Sie’s ruhig Bedeutungslosigkeit -, das Gefühl, schlichtweg zu verblassen.
    Also nehme ich eine Tochter zu mir aufs Sofa und hätschle sie, damit sie mich ein bisschen lieb hat: Rebecca, die so verdreht und freundlich ist, oder Emily, das Schmusekätzchen, Papas Mädchen – ein bisschen unverbesserlich, ein bisschen kaltherzig, und ein Blick aus ihren hegartyblauen Augen genau das, was mich mitten ins Herz trifft. Wir knuddeln, wir albern und plaudern, es gibt Geschrei wegen Hausaufgaben, nicht leer gegessener Teller oder wegen der Schlafenszeit. Und um halb zehn, wenn das Geschrei und das Gealbere vorbei ist und sie eingeschlafen sind, beginne ich umherzustreifen.
    Eigentlich wollen sie mich gar nicht, denke ich. Sie finden sich nur eine Zeit lang mit mir ab.
    Vom Wohnzimmer durch die gute Stube und das Esszimmer in die Küche, ein Kontinuum an Räumen um die Treppe herum. Das Erdgeschoss ist ein offener Wohnbereich mit einem kleinen versteckten Arbeitszimmer auf der anderen Seite der Eingangstür. Wenn Tom nach Hause kommt, gehe ich dort hinein. Manchmal surfe ich nachts im Internet. Meistens aber schreibe ich über Ada und Nugent im Belvedere, immer wieder und ohne Unterlass.
    Um halb zwölf steckt Tom den Kopf zur Tür herein und sagt: »Bleib nicht die ganze Nacht auf!« Und wenn seine Schritte verhallt sind, gehört die Welt mir.
    Und was für eine verrückte Welt das ist!
    Es gibt lange Stunden, in denen ich nicht weiß, was ich eigentlich treibe oder getrieben habe – meistens nichts, aber manchmal wäre es gut zu wissen, was für eine Art von Nichts es ist. Manchmal gegen vier packt mich der Putzteufel. Ich verhalte mich wie ein Dieb, halte den Atem an, während ich schrubbe, den Schmutz von den Wänden stehle. Ich bemühe mich, nicht vor halb sechs zu trinken, aber dann trinke ich durch – aus der vollen Weinflasche noch den allerletzten kleinsten Tropfen. Das ist die einzige Möglichkeit, die ich kenne, den Tag zu beenden.
    Spät in der Nacht höre ich Stimmen, in Salven und Fetzen – als würde in einem anderen Zimmer ein Radio an- und wieder ausgeschaltet. Unzusammenhängend, aber recht vergnügt. Geschichten, die von den Wänden zurückprallen. Lebensfragmente, die zu mir durchsickern. Geflüster beim Herunterdrücken einer Türklinke. Vögel auf dem Dach. Manchmal das Quietschen eines Kinderspielzeugs. Und einmal die Stimme meines Bruders, der sagte: »Nur ruhig. Ruhig.«
    Ich lauschte ihm nach, aber da war er schon wieder fort.
    Wenn ich den Kühlschrank öffne, wird mein Verstand Opfer von Gedächtnissprüngen und -lücken, die Treppenstufe, die man verfehlt, wenn man einschläft. Schlimme Vorzeichen. Ich spüre, wie die Zukunft durch das Dach meines Verstandes stürzt, und wenn ich hinsehe, ist nichts da. Ein Strick. Etwas, das in einem Sack herabbaumelt, den ich nicht berühren kann.
    Ich gieße mir Wein ein und greife nach dem Glas, und dazwischen bereue ich.
     
    Manchmal gehe ich nach oben, um mein Bett zu betrachten, in dem ich nicht liege. Tom schläft auf dem Rücken. Er schnarcht nicht. Manchmal, wenn er im Schlaf traurig ist, wälzt er sich auf die Seite und vergräbt die Hände unterm Kinn. Mein Mann, der beim Träumen zuckt.
    Tom bewegt Geldströme, elektronisch. Jedes Mal,

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