Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Familientreffen

Das Familientreffen

Titel: Das Familientreffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
Vom Netzwerk:
in einem Strudel blonder Haare in seine fröhlichen australischen Shorts hinab. Natürlich waren sie Dilettanten, Touristen wie ich, sie zuckten nicht, sie jaulten nicht und schlugen sich nicht, schleuderten nicht mitten in der Nacht ihren Shit in Päckchen aus dem Fenster, weil sie einen Augenblick lang vergessen hatten, wo sie waren. Im Souterrain wohnte ein Dealer, aber im Haus selbst gab es nur wenig Drogen, vielleicht sind mir auch nur nie welche angeboten worden – irgendetwas an meinem sandfarbenen Haar und meinem schmalen Gesicht, das schon damals verriet, dass ich mit dieser Sache nichts zu schaffen haben wollte. Es versuchte auch keiner, mit mir zu vögeln, obwohl der Australier und ich eines Nachts zusammenkamen, einfach nur, weil wir Gelegenheit dazu hatten.
    Hin und wieder erinnere ich mich noch an diese Begegnung – zum Beispiel, wenn ich beschließe, einfach hinzugehen und »es« zu tun -, erinnere mich daran, wie man sich an eine Filmszene erinnert, an Körper, die sich im Licht des Nachmittags im gleichen Rhythmus bewegen, Gliedmaßen, die sich langsam anwinkeln, Zungen, die sich herausbiegen. Dies trotz der Tatsache, dass es, da bin ich mir sicher, im Dunkeln stattfand, nach billigem Wein und Kerzenlicht im überwucherten Garten hinter dem Haus. Irgendetwas an dem Vorfall bedeutete selbst damals schon, dass wir ihn fast ausschließlich von außen erlebten – mein junger Körper, sein junger Körper, all die Stellungen und Bewegungen und über uns mein schwebender Blick, vielleicht sogar sein schwebender Blick, oder unser beider Blicke vereint. So wunderbar, so sauber pornografisch waren wir und dabei ausgesprochen freundlich, es war wie ein Tanz, und als ich mich an den Australier klammerte, ängstlich darauf bedacht, diese Szene mit all ihren sorgsam ausgeführten Variationen eine Weile andauern zu lassen, empfand ich bis auf eine kleine Faust von Gefühl nicht mehr, als eine Tänzerin empfinden mag.
    Wir trennten uns mit einem Lächeln, das so gut wie ein Handschlag war, und ich ging zurück zu meinem eigenen Bett und legte mich schlafen. Einen Tag lang, vielleicht auch zwei, blieben sie mir, die Freiheit und das Chaos, mit jedem zu vögeln, auf den mein Auge fiel, die Durchsichtigkeit von alldem, bis ich plötzlich vor Liebe zu dem Australier ganz entkräftet und sprachlos war, eine Ewigkeit dalag und auf die Geräusche im Haus lauschte, auf die Tritte, die darin widerhallten, auf die Stimmen und das Geflüster. Durch das ansteigende und abfallende Gewirr suchte ich nach dem dunklen Tschirpen seiner Stimme. Auch wurde mir klar, dass ich nicht etwa in ihn verliebt war, sondern stattdessen zu einem ganzen Leben voll grundverkehrter Gefühlsheftigkeit verdammt war, dass ich jeden Mann, mit dem ich schlief, würde lieben müssen, um mich nicht selbst zu hassen, und mit einem Mal wurde mir die Verkommenheit des Hauses unerträglich, die Feuchtigkeit und der Schimmel, der Streit um gestohlene Cornflakes, die allmähliche Entfremdung zwischen Liam und dem Mädchen mit den Netzhandschuhen, verstümmelte Seelenqualen aus dem Nachbarzimmer und der Dealer im Souterrain, der immer wieder einen geblasen bekam, als sei er ein Ein-Mann-Puff, und stets zitterte draußen auf der Treppe schon das nächste Mädchen.
    Und dennoch lag ich da, im Mief der Laken eines anderen, und wartete darauf, dass der Australier an die Tür klopfte oder das Wetter umschlug, wartete darauf, dass irgendein fernes Zahnrad einrastete und mein Leben vorantrieb. Inzwischen glaube ich, dass ich damals hätte verloren gehen können – nicht, dass ich heute auf irgendeine Weise gefunden worden wäre, aber ich glaube, hätte mein Leben damals weiter stillgestanden, so wäre ich auf weitaus verhängnisvollere Weise verloren gegangen.
    Offiziell mietete Liam das Zimmer, deshalb war einer der Gegenstände, die ich im Verlauf jener zwei, drei Tage betrachtete, wenn ich nicht aß und nicht denken konnte und mich nur mitten in der Nacht bewegte, sein Bett, das im rechten Winkel zu meinem stand, mit einer vergilbten Wolldecke mit breitem rosa Streifen am oberen Rand. Geheimnisvollerweise hielt Liam sich immer andernorts auf. Vielleicht war eine der Konsequenzen unseres Aufenthalts bei Ada, dass er, wenn er sich ein Zuhause schuf, dies nur deshalb tat, um es verlassen zu können. Ich weiß nicht, warum mir das nichts ausmachte. Gewiss, ich war eifersüchtig auf seine Freiheit, aber ich erkannte wohl schon damals, dass der Ort, an den er ging,

Weitere Kostenlose Bücher