Das Familientreffen
sie jemand anderem (wie vielleicht meine Mutter es gehandhabt hätte), glaube ich doch nicht, dass es in Adas Charakter lag, oder in seinem, so unschuldig zu sein.
Also. Das Gespräch wendet sich einem anderen Gegenstand zu. Nugent stockt. Ada steht auf, um sich am Tablett zu schaffen zu machen. Sie streckt die Hand aus, um ihn zu trösten, er führt die Hand an ihre Hüfte, und ihr Leben gabelt sich vor ihnen. Sie können ihre Hände ruhen oder sinken lassen. Sie sind wieder jung, wieder an jenem Augenblick im Leben angelangt, da der Körper eines anderen Menschen ein Weg ist, den man wählen kann, ohne je umkehren zu können.
Sie wissen auch, dass dieser Augenblick längst verpasst ist – sie sind nicht mehr jung, und einer körperlichen Vereinigung, die zu spät erfolgt, haftet nichts Schicksalhaftes mehr an. Was vor ihnen liegt, ist nicht so sehr eine Weggabelung als vielmehr eine kleine Parkbucht. Sie können es tun, und es käme nicht darauf an. Nichts würde sich dadurch ändern, weder die Zukunft noch die Vergangenheit. Nugent hätte nach wie vor Ada geliebt oder gewollt, und Ada hätte nach wie vor Charlie gewollt, ob sie ihn nun liebte oder nicht – ja, ob sie überhaupt jemals irgendwen geliebt hat oder nicht. Für sie mit ihren siebenundvierzig Jahren ist eine solche Frage schwierig zu beantworten, und es ist die Frage, die Nugents Hand auf ihrer Hüfte aufwirft: die Frage, ob sie überhaupt jemals irgendwen geliebt hat, ihren vagabundierenden Mann oder ihre Kinder oder sich selbst oder die Eltern, die sie nie gehabt hat.
Na und? Ada liebt andere Menschen nicht, sie ernährt sie und hält sie sauber, und auch dies ist eine Art von Liebe, er aber hat sie aus ihr herausgesaugt, dieser Mann mit seinen vier gesunden Kindern und seiner durch und durch netten Frau, er hat ihre häusliche Liebe auf der Waage gewogen und zu leicht befunden, und einen Augenblick lang erkennt Ada die Lüge nicht – dass alle Frauen herzlos sind, weil sie begehrt werden. Einen Augenblick lang steht Ada da und denkt, dass es wahr ist (und vielleicht ist es wahr): Nie hat sie auch nur eine einzige Menschenseele geliebt. Sie ist allein. Daran kann sie nichts mehr ändern.
Als sie sich endlich wieder bewegen, ist alles vorbei. Adas Liebe ist auf der Waage gewogen und zu leicht befunden worden, so auch Nugents Liebe und die Liebe im Allgemeinen – darüber sind sie sich einig. Es liegt also nichts Tröstendes darin, dass ihre Hand zu Nugents melancholischem Hinterkopf gleitet oder dass seine Hand sie in die Knie zwingt, als er aus dem niedrigen Sessel zu ihr auf den Fußboden rutscht, und es liegt etwas Märtyrerhaftes in der Art, wie Ada das Kinn hebt, um an ihrer Schulter Platz zu schaffen für seinen Kopf und an ihrem Hals Platz für sein Gesicht. Und so bewegen sie sich, mit fröstelnden Pausen und wohlüberlegten Neuanfängen, durch das Schachspiel der Körper, bis Ada, auf dem Fußboden ihrer eigenen guten Stube, rückhaltlos bereit ist und seiner harrt.
So gern würde ich glauben, dass noch etwas anderes geschah, als er in sie eindrang. Aber ich weiß nicht, was das sein könnte. Dass sie plötzlich ineinander verliebt waren? Dass sie Schmerzen litten? Oder was?
Sie hatten ihren Spaß.
Sie brachten das Haus zum Einsturz: Gott lag zerschmettert im Kamin, die Weltgeschichte war in Fetzen gerissen, die wie Adas Strümpfe girlandenartig das Kaminbesteck schmückten.
Der Buchmacher fickt die Hure (ich hatte ganz vergessen, dass sie eine Hure war), und hier nähern wir uns dem Kern der Sache, der Wahrheit – dem Buchmachermäßigen im Wesen des Mannes und dem Hurenhaften im Wesen der Frau. So wie Nugent jetzt in Ada eindringt, bestehen wir erst recht auf der Tatsache ihrer Geringwertigkeit, darauf, dass auch sie es will . Oder reicht das? Müsste er nicht mehr tun, um zu beweisen, dass er recht hat?
Ich kann die beiden hin und her wenden, solange Sie wollen, hier auf der Buchseite, ich kann sie allen möglichen Arten des Zögerns und der Wonne aussetzen, Gedankenlosigkeit, Niedergeschlagenheit, Triebabfuhr. Ich kann sie auf die gröbste Weise auseinandernehmen und wieder zusammensetzen, aber ich habe nicht das Herz dazu, es handelt sich um etwas so Banales bei den Dingen, die sich hinter verschlossenen Türen abspielen, diesen schrecklichen Sünden, die schließlich nichts als Sex sind.
Nichts als Sex.
Ich würde liebend gern meinen Körper verlassen. Vielleicht geht es ja genau darum, bei diesen Fragen nach welchem und
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