Das Familientreffen
theatralischem Rot bis zum Boden. Das Fenster ist das Erste, was man sieht, wenn man eintritt. Verglichen mit ihm, wirkt alles andere düster, außer dem Spiegel über dem Kaminsims, der einen hellen Zimmerausschnitt reflektiert. Die Tür öffnet sich nach innen und befindet sich nahe der Dielentür, sodass man ganz eintreten muss, um herauszufinden, wer anwesend ist: Charlie, der – manchmal im Schlafanzug – auf dem Sofa schläft, oder Ada, die im Ohrensessel liest, den sie ans Fenster gerückt hat, um besseres Licht zu haben, oder Mr Nugent, der freitags in dem anderen Ohrensessel sitzt, während Ada ihm ausweicht, indem sie in der Küche Kekse auf einem Teller arrangiert.
Es gab Wochen, in denen sie sich überhaupt nicht um ihn kümmerte. Man wusste nie so recht, wo sie sich aufhielt. Wir hingen nicht an ihrem Rockzipfel, und Ada hatte eine ziemlich scharfe Zunge und ständig zu tun. Sie liebte ihre Tasse Tee, und wenn sie sich zu einer Tasse Tee hinsetzte, konnte man mit ihr reden, soviel man wollte. Die übrige Zeit waren wir ihr, wie damals alle Kinder, »im Weg«.
So brachte ich viele Stunden damit zu, von Zimmer zu Zimmer zu wandern und etwas zu suchen oder etwas zu vermeiden, es war schwierig zu sagen, was.
»Was machst du da?«, fragte Ada dann. »Was machst du denn da ?«
Das Haus strahlte eine fürchterliche Langeweile aus, die ich nie abzuschütteln vermochte. Sie lauerte in den Ecken, auf dem Weg zur Garage und hinten in dem kleinen Garten. An diesem Tag langweilte ich mich abwechselnd auf der Treppe oder am Esszimmertisch oder in der Diele, bevor ich mich erneut langweilte und beschloss, in die gute Stube zu gehen.
Was mich vor den Kopf stieß, als ich die Tür öffnete, war das Befremdliche des Anblicks. Es war, als sei Mr Nugents Penis, der direkt aus seinem Hosenstall ragte, sonderbar angewachsen, habe an der Spitze eine Blüte getrieben und die große plumpe Gestalt eines Knaben hervorgebracht, und dieser Knabe war mein Bruder Liam, der, wie ich schließlich sah, nicht etwa eine Verlängerung des Gliedes war, das der Mann unerklärlicherweise vor sich auf dem Fußboden abgesetzt hatte, sondern ein erschrockener (natürlich war er erschrocken, schließlich hatte ich die Tür geöffnet) Junge von neun Jahren, und das Glied war gar kein Glied, sondern der nackte Unterarm des Jungen, der zwischen diesem und Mr Nugent eine Brücke aus Fleisch bildete. Seine Hand war im Hosenstoff vergraben, seine Faust umklammerte etwas darin Verborgenes. Es war also kein Ding, zusammengewachsen aus entblößter Leistengegend und Schulter, vielmehr waren es zwei Menschen, die ich kannte: Mr Nugent und Liam.
Ich versuche, mich daran zu erinnern, wie er aussah, aber es ist wirklich schwer, sich das Gesicht des eigenen Bruders, damals, als er noch ein Kind war, ins Gedächtnis zu rufen. Und obwohl ich weiß, dass es sich tatsächlich zugetragen hat, so weiß ich doch nicht, ob das Bild, das ich vor meinem geistigen Auge habe, ein wahres Bild ist – das seltsame Gewächs am Ende von Mr Nugents Penis, die Brücke aus Fleisch zwischen dem Mann und dem Jungen. Das Bild weist zu viel gelbes Licht auf, es gibt zu viele lange Schlagschatten. Mr Nugent, die Hände flach auf die Knie gelegt, lehnt sich leicht zurück. Vielleicht ist die Erinnerung nicht korrekt, denn in meinem Kopf herrscht ein schreckliches Durcheinander, durch das ich mich erst hindurchkämpfen muss, um zu der Szene zu gelangen. Außerdem ist sie unerträglich. Mr Nugent lehnt sich auf seinem Sessel zurück, das Kinn hat er in den Hals gegraben, den Kopf zurückgebeugt vor Befriedigung oder vor Schmerz. Er sieht aus wie ein alter Farmer, der sich die Füße massieren lässt.
Ich weiß nicht, weshalb das Schrecklichste für mich in diesem Zimmer seine Lust war. Seine nach innen gekehrte Lust. Die Grimasse, die sie hervorruft, wie bei einem Mann, durch dessen Gedärme sich ein schlimmer Furz bahnt oder der eine furchtbare Nachricht erhält, die dennoch etwas Komisches hat. Unerträglich ist der Kampf, der sich auf Lamb Nugents Gesicht malt, der Kampf zwischen dem Mann, der eine solche Lust nicht billigt, und jenem anderen, der ihr hilflos ausgeliefert ist.
Ich habe seitdem mit Männern geschlafen, die genauso sind – bis zum letzten Augenblick geben sie nichts preis, und dann wimmern sie, als sei etwas Schreckliches geschehen. Die Lust, die sie überfällt, ist wie eine Art Hinterhalt. Und natürlich fühlen Sie sich schuldig daran. Sie haben das
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