Das Familientreffen
er »hat was zu erledigen«.
So verzehrt Ada die Kekse selbst, einen nach dem anderen, und ihre Augen huschen im Zimmer umher, um sich zu vergewissern, ob auch alles so ist, wie es sein sollte, ob das Wetter besser wird, ob die Zeitung noch immer zusammengefaltet auf der Armlehne des Sessels liegt und darauf wartet, gelesen zu werden. Sie ist siebenundvierzig, Nugent ist einundfünfzig. Nach den Maßstäben der Zeit sind sie schon sehr alt.
Nugent sitzt in Adas guter Stube und blutet. Darin liegt nichts Überraschendes: Sie zerdrückt die Krümel auf ihrem Teller mit dem Zeigefinger und führt ihn zum Mund. Weshalb sollte es für ihn schlimmer sein als für andere Männer? Aber es ist schlimmer. Er beharrt darauf. Er ist ihrer überdrüssig.
Sie hat etwas gesagt, das er nicht gehört hat, oder vielleicht hat er auch nur beschlossen, nicht darauf einzugehen. Jedenfalls ist eine Pause entstanden, zwischen ihnen hat sich ein Graben aufgetan, und Ada, die Hausfrau, versucht, ohne nachzudenken, ihn zu überwinden. Sie steht auf, macht sich einen Augenblick am Tablett zu schaffen, dann wendet sie sich ihm wieder zu und wartet auf eine Antwort, was immer die Frage gewesen sein mochte: die Landwirtschaftsausstellung oder die Beschaffenheit des Strandes in Port Salon, und als Nugent zu reden versucht, es aber nicht vermag, streckt sie die Hand aus und legt sie ihm auf die Schulter.
Das ist alles.
Sie legt ihm die Hand auf die Schulter, und nach Art eines Menschen, der sie nun schon so viele Jahre lang kennt, blickt er zu ihr auf und führt seine Hand zu ihrer Hüfte. So bleiben sie einen Moment lang stehen, dann bückt sich Ada, um das Tablett aufzuheben, dreht sich um und verlässt das Zimmer.
Oder das Tablett ist umgekippt, unter Nugents Fingern ist Adas Bluse aufgesprungen, und die beiden liegen halb auf dem Fußboden, halb auf dem Sessel. Wie mag es wohl sein, nach all diesen Jahren ihren Körper zu sehen? Sie sind Nacktheit nicht gewohnt, sie haben keine Auswahl von Körpern gewöhnlicher Menschen im Kopf, so wie wir sie sammeln, wenn wir etwa an einem sommerlichen Strand sitzen. Die Brust, nach der sein einundfünfzig Jahre alter Mund strebt, mag schön sein oder nicht, ihnen fehlt jeder Vergleich, sie zu beurteilen, ihnen allen beiden: Adas kleine beutelförmige Brüste mit den harten, aufgerichteten Brustwarzen, sie prüfen sie nicht auf Alter, Ästhetik oder sonst etwas, alle beide nicht. Der Schock, sie von Männerhand ans Licht befördert zu sehen, reicht aus, um ihre Köpfe auszufüllen, so wie ein Autounfall Ihren oder meinen ausfüllen würde, deshalb geschieht alles, was jetzt folgt, langsam, bedingungslos und nicht der Reihe nach: Die Haut seines Geschlechts scheuert auf der Haut ihres Geschlechts, sein Penis stößt gegen – ist es ihr Bein, ihre Scham oder ihr Bauch? Besitzt er genügend Geistesgegenwart, sie dazu zu bringen, dass sie sich hinlegt? Gibt es, so wie es ihn heute geben mag, einen Augenblick der Entscheidung oder der höflichen Bitte – denn das erfordern die technischen Einzelheiten -, oder passiert es von selbst? Hingestreckt liegt sie da, ist weder geschubst noch gestützt noch gefragt worden, und die Sache ist bereits erledigt, und Nugent hat irgendwo seinen Samen vergossen, ob in Ada Merriman oder anderswo. Sie richten ihre Kleidung, und keiner spricht ein Wort – ist es möglich, dass sie sogar Schwierigkeiten haben, sich darauf zu besinnen, was soeben zwischen ihnen vorgefallen ist, und dass sie alle Mühe haben werden zu sagen, wer was wollte oder wer sich wann bewegte, außer dass hin und wieder eine Erinnerung aufblitzen wird, wenn sie nach rechts oder links blicken, bevor sie die Straße überqueren, oder wenn sie innehalten, bevor sie den Schlüssel ins Schlüsselloch stecken; ein weit zurückliegendes Zucken von Hand und Brust, der Geschmack von Mund an Mund und Augen, die sich weigern, sich zu öffnen, damit das Tageslicht dem, was sich flüchtig immer wieder aufs Neue ereignet, wenn die beiden über die Schwelle oder vom Bordstein treten, nicht »Halt!« zuruft?
Es muss eine Wonne gewesen sein, so ins Taumeln zu geraten, als Nugent ihren Hüfthalter hochschob, bevor er kam, oben in der seidigen Mulde an einem Bein, welches nach den Maßstäben der Zeit nun wirklich schon sehr alt war. Dennoch, ich würde ihnen gern mehr zugestehen. Ada hat drei Kinder, Nugent vier, und obwohl es möglich ist, derlei körperliche Geschehnisse über sich ergehen zu lassen, als widerführen
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