Das Feenorakel
entweder ersetzbar waren oder auf die sie ohne Weiteres verzichten konnte. Julen schwor im neuen und nun doch luxuriösen Hotelzimmer, er würde der Sache auf den Grund gehen. Doch das war in dieser Nacht kein Trost für Alva. Der Verlust ihres Tagebuchs mit Tournotizen und neuen Texten schmerzte sie und das Feuer beunruhigte sie obendrein.
Am nächsten Tag führte sich Julen auf, als hätte man einen Mordanschlag auf sie verübt, und ließ Alva keine Sekunde mehr aus den Augen. Und wenn er nicht selbst auf sie aufpasste, dann lungerten Erik oder Chris in ihrer Nähe herum, was ihr furchtbar auf die Nerven ging.
Aber sie war nicht so dumm, die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen. Wie konnte ausgerechnet im Kleiderschrank ein Brand entstehen? In ihrer Tasche hatte sich außer einigen Bügeln nichts weiter befunden, schon gar keine elektrischen Leitungen, das stand inzwischen fest. Ein Kurzschluss, wie es der nette Polizist vorgeschlagen hatte, war also äußerst unwahrscheinlich. Immerhin versprach er, sie über die Ermittlungen auf dem Laufenden zu halten.
Julen hatte ihr geschworen, er würde herausfinden, wer dahintersteckte. Denn man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, erst die sonderbare Vergiftung auf dem Schiff, dann die herabstürzende Lampe und nun sogar ein Kurzschluss im Kleiderschrank, das war mindestens ein Zufall zu viel.
Er tat alles, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Kaum waren die polizeilichen Befragungen beendet und die Sonne endgültig untergegangen, hatten er ein Segelboot ausgeliehen.
«Im Bootsclub war niemand mehr, was sollte ich da machen?»
Vergeblich hatte sie ihm zu erklären versucht, dass man sich nicht einfach alles nehmen durfte, was einem gefiel. «Warum?», hatte er mit diesem frechen Zwinkern gefragt, dass sie so sehr liebte.
Sie waren auf den See hinausgesegelt, den es hier mitten in der Stadt gab. Unter einem wunderbaren Sternenhimmel hatte er sie mit Leckereien gefüttert. Einen kleinen Schluck vom Champagner hatte er dabei sogar selbst getrunken … aus ihrem Bauchnabel. Danach wären sie beide beinahe ins Wasser gefallen.
Alva kicherte leise. Die Erinnerung an die Gesichter der Ruderer, die währenddessen in einem Zehner an ihnen vorbeigeglitten waren, würde sie niemals vergessen. Da sie Julens Gedanken inzwischen recht gut zu lesen gelernt hatte, ahnte sie, dass auch er an ihr Abenteuer zurückdachte, während sie gemeinsam den Raum betraten, der für die Band vorgesehen war. Warte nur, was ich mir für später ausgedacht habe , hauchte seine Stimme verheißungsvoll in ihrem Kopf.
Vorerst meldete sich allerdings nicht ihre Libido, sondern ihr Magen. Vom Auftritt in einem zum Bersten gefüllten Club erschöpft verlangte ihr Körper nach Ruhe, aber ihre Seele hätte weiter singen und tanzen können vor Freude darüber, dass es ihr immer besser gelang, die gefährliche Sirenenmagie zu beherrschen. Es war interessant zu beobachten, wie unterschiedlich das Publikum reagierte. Tanzten und feierten die Menschen im Süden von Anfang an, brauchte es eine Weile, bis das Hamburger Publikum warm wurde. Doch dann gab es kein Halten mehr und sie verlangten Zugabe auf Zugabe. Die Presse überschlug sich mit ihrem Lob und immer häufiger wurde die Frage laut, warum One more thing … weiter als Support-Act auftrat, während doch fast jeder inzwischen kam, um sie zu hören.
Es hatte zwischendurch eine oder zwei brenzlige Situationen gegeben, aber jedes Mal war Julen in ihre Gedanken geschlüpft, als ahnte er, dass sie die Kontrolle zu verlieren drohte. Du willst die Zuhörer unterhalten, nicht versklaven! , hatte er sie ermahnt, aber es waren nicht seine Worte gewesen, sondern seine Nähe, die ihr die Kraft gegeben hatte, ihren Instinkten zu widerstehen.
Auf einmal spürte sie, wie sich Julen neben ihr aufzulösen schien. Erschrocken griff sie nach seiner Hand. Da war er, warm und lebendig, und trotzdem hätte sie schwören können, dass niemand mehr neben ihr stand. Wie macht er das nur?
Ihr Blick folgte seinem und sie sah ihren Tourmanager Jon aufgeregt in sein Smartphone flüstern. Hinter ihm lehnte Erik an der Wand, lässig, die Hände in den Hosentaschen vergraben, als ginge ihn das alles nichts an.
«Leute, essen könnt ihr später! Packt ein paar Sachen zusammen, wir fliegen nach London zurück.»
«Was sollen wir da?»
Jon fuchtelte mit seinem Handy in der Luft herum und es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre er wie ein Gummiball
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