Das Fenster zum Hof
davon. Was er berührte, war ein Maßband, das zusammengerollt auf
dem Wäschekorb lag. Wortlos griff er danach und reichte es ihr.
»Einer von uns muß es hier
liegengelassen haben«, sagte sie tonlos. »Es gehört...«
Er ging bereits die Treppe hinunter,
ohne ihr weiter zuzuhören. Sie drehte schnell die Wasserhähne zu und folgte
ihm. Er war in den Keller hinuntergegangen, ohne sie um Erlaubnis zu fragen.
Einen Augenblick später kam er wieder hoch und stand neben ihr in der Diele.
»Wollte nur sehen, wo der
Sicherungskasten ist«, antwortete er auf ihren fragenden Blick.
Vorsichtig trat sie einen Schritt
zurück. Sie sagte nichts, doch er sprach den flüchtigen Gedanken, der ihr eben
durch den Kopf geschossen war, laut aus: »Nein, ich bin nicht verrückt.
Vielleicht hab ich eine kleine Macke, vielleicht muß jeder Kriminalbeamte, so
wie ein guter Maler oder ein guter Schriftsteller, eine kleine Macke haben. Wir
haben jetzt nicht viel Zeit. Mr. Archer wird mit ziemlicher Sicherheit am
Bahnhof wieder einfallen, daß er etwas vergessen hat, und er wird zurückkommen.
Lassen Sie mich vorher noch schnell ein paar Fragen stellen. Sie haben gesagt,
Archer sei gerade in der Zeit, bevor Mead starb, öfter mal abends
vorbeigekommen. Sie wurden ganz gute Freunde .«
»Das ist richtig. Haben sich beim
Vornamen angesprochen und kamen bestens miteinander aus. Sie haben dagesessen,
ihr Glas genüßlich in der Hand gewiegt und miteinander geplaudert. Stephen hat
Harry sogar ein Geschenk mitgebracht, einen teuren Whiskey, das war zwei oder
drei Tage vor seinem Tod. So sehr schätzte er ihn .«
»Hatte Mead da bereits die
Magenbeschwerden, die nach der Diagnose des Leichenbeschauers und des Arztes
schließlich zu seinem Tod führten ?«
»Stimmt eigentlich, das war kurz vorher .«
»Aha. Und es war also ein ziemlich
teurer Whiskey. So teuer, daß Archer darauf bestand, Mead müsse ihn alleine
trinken, und nicht einmal einen Schluck mittrinken wollte: Zum Anstoßen
begnügte er sich mit einem ganz gewöhnlichen Whiskey für alle Tage .«
Die Farbe wich aus ihrem Gesicht.
»Woher wissen Sie das ?«
»Bis eben hab ich es nur vermutet .«
»Es war nur ganz wenig, in einer
Flasche aus Steingut, und Stephen hatte vorher, zu Hause, schon davon gekostet .« Sie hielt inne, als sie seinen unmißverständlichen,
wissenden Gesichtsausdruck bemerkte. »Ich weiß, worauf Sie hinauswollen! Sie
glauben, Stephen hat ihn damit vergiftet, nicht wahr? Gestern abend war es eine
Kugel, heute morgen ist es vergifteter Whiskey! Hören Sie zu, Sie
Obergescheiter; nicht ein Tropfen davon ist an Harrys Lippen gekommen! Mir ist
die Flasche heruntergefallen, und der ganze Whiskey ist auf dem Küchenboden
gelandet, als ich ihnen die Drinks mixen wollte. Es war mir peinlich, und ich
wollte es keinem von beiden erzählen, nachdem Stephen das Zeug in den höchsten
Tönen gelobt hatte, deswegen hab ich schnell eine Flasche normalen Scotch
bringen lassen und damit die Drinks gemixt, und sie haben’s nicht gemerkt !«
»Woher soll ich wissen, daß Sie mir die
Wahrheit erzählen ?«
»Weil ich einen Zeugen habe! Der
Angestellte aus dem Spirituosenladen, der die neue Flasche brachte, hat
gesehen, wie ich die Scherben vom Küchenboden auflas. Er hat sogar den Kopf
geschüttelt, gemeint, es sei doch jammerschade darum, und mich
daraufhingewiesen, daß in ein paar der gewölbten Scherben noch genug Whiskey
war, um zumindest noch einen ordentlichen Drink zu mixen. Und dann hat er mir
beim Aufsammeln geholfen. Fragen Sie ihn doch selbst !«
»Ich glaube, das werd ich auch tun. Wie
heißt der Laden, wo erarbeitet ?«
»Ideal, der ist nur ein paar
Häuserblocks von hier entfernt. Und kommen Sie bloß wieder, damit Sie meinem
Mann weiter nachstellen können !« funkelte sie ihn an.
»Nein, nicht doch. Ich habe nicht vor,
etwas gegen Ihren Gatten zu unternehmen. Er muß den ersten Schritt tun. So, das
war alles, was ich wissen wollte oder mußte. Mehr brauche ich nicht. Ah, da
kommt er ja - hat wohl was vergessen !«
Ein Schatten fiel auf den Glaseinsatz
der Haustür, ein Schlüssel drehte sich im Schloß hin und her. Ein leiser
Klagelaut entrang sich ihrer Kehle. »Nein, jetzt werden Sie ihn verhaften !« Flehend streckte sie die Hände aus, um ihn
zurückzuhalten.
»Ich verhafte niemanden wegen etwas,
das er nicht getan hat. Ich gehe zur Hintertür hinaus, wenn er vorne
hereinkommt. Sie laufen jetzt hoch und legen sich in die Badewanne - und lassen
das
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