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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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Gedanken an die Konsequenzen hintenangestellt hat.
    »Nein«, sagte sie. »So ist es nicht
gewesen. Wollen wir das Ganze noch einmal durchgehen? Aber vorher zerreißen Sie
bitte Ihre Notizen. Die werden kaum noch von Belang sein, wenn ich fertig bin .«
    Er zerriß sie in kleine Fetzen und ließ
sie zu Boden flattern; dabei lächelte er, als habe er das ohnehin vorgehabt.
»Also dann, Mrs. Archer.«
    Sie sprach wie in Trance, die Augen auf
einen Punkt hoch über seinem Kopf gerichtet, als lasse sie sich von der Decke
inspirieren. »Stephen faszinierte mich von dem Moment an, als ich ihn zum
ersten Mal sah. Er trägt keinerlei Schuld an dem, was passiert ist. Er kam, um
Harry zu besuchen, nicht meinetwegen. Aber je öfter ich ihn sah, desto stärker
wurden meine Gefühle für ihn. Harry hatte eine hohe Lebensversicherung zu
meinen Gunsten abgeschlossen. Mir kam immer wieder der Gedanke, wie günstig es
doch wäre, wenn — ihm irgend etwas zustoßen würde. Ich hätte dann ein kleines
Vermögen, und da Stephen Junggeselle war, was könnte mich daran hindern, ihn zu
heiraten? Aus den Gedanken wurden Tagträume, aus den Tagträumen schließlich
Taten.
    An dem Abend, als Harry hinters Haus
ging, um etwas frische Luft zu schnappen, dachte ich das Ganze zum letztenmal
durch, beim Abspülen. Und dann setzte ich es in die Tat um. Ich ging nach oben
und holte ein — ein altes Bügeleisen, das ich nicht mehr benutzte. Ich
versteckte es unter meiner Schürze, ging nach unten und hinaus ins Dunkel, zu
ihm. Ich wußte, daß Stephen später vorbeikommen würde, und nur daran dachte
ich. Harry war nicht mehr mein Mann, der Mann, den ich liebte; er war zu einem
Hindernis geworden, das zwischen Stephen und mir stand.
    Ich stand neben ihm und unterhielt mich
einen Augenblick mit ihm, überlegte mir dabei, wie ich es wohl tun könnte. Ich
hatte keine Angst, gesehen oder gehört zu werden, weil wir keine direkten
Nachbarn haben. Unser Haus steht allein auf weiter Flur. Aber ich hatte Angst
vor dem Blick, mit dem er mich im letzten Moment ansehen würde. Auf einmal sah
ich einen Leuchtkäfer hinter ihm und sagte: ›Guck mal, Liebling, da ist ein
Leuchtkäfer, im Radieschenbeet.‹
    Er drehte mir den Rücken zu, und ich
hab’s getan. Hab das Eisen am Griff gepackt und ihm damit eins übergezogen. Er
starb nicht sofort, aber sein Gehirn funktionierte bereits nicht mehr, er
konnte nicht mehr sprechen, und ich sah gleich, daß es vorbei war. Ich ging ein
paar Meter weiter, hinaus auf die Felder, habe mit seiner Gartenhacke ein Loch
gegraben und das Bügeleisen hineingelegt.
    Dann ging ich ins Haus und spülte das
Geschirr. Als ich gerade fertig war, kam Stephen. Ich ging mit ihm zur
Hintertür und tat, als würde ich Harry rufen. Dann haben wir ihn gefunden und
ins Haus getragen. Stephen weiß bis heute nicht, daß ich es getan habe .«
    »Und er hat die Wunde nicht gesehen?
Hat es denn nicht geblutet ?«
    »Ein bißchen schon, aber ich hab es
abgewaschen. Ich habe Makeup genommen, mit dem ich sonst meine Falten
vertusche, und es auf die Wunde geschmiert. Dann hab ich noch etwas Puder
draufgetan, damit es weniger auffiel. Er hatte schon einen Ansatz zur Glatze,
aber ich hab’s mit seinen Haaren verdeckt. Ich hab’s ganz gut hingekriegt,
schließlich benutze ich dieses Makeup schon seit Jahren .«
    »Sehr interessant. Und das hat
offensichtlich auch für den Arzt, den Leichenbeschauer und den Bestatter
gereicht. So weit wäre alles klar. Ach ja — haben Sie ihn genau am Hinterkopf
getroffen oder etwas an der Seite, vielleicht an der linken Seite ?«
    Sie überlegte. »Ja, eher links.«
    »Sicher können Sie mir die Stelle
zeigen, wo Sie hinterher das Bügeleisen vergraben haben ?«
    »Nein, ich — ich hab das Bügeleisen
später wieder ausgegraben, und dann, als ich mit der Fähre über den Fluß bin,
um meine Schwägerin zu besuchen, hab ich es, ungefähr in der Mitte, ins Wasser
geworfen .«
    »Aber Sie können mir doch sicher sagen,
wie schwer es war? War es groß oder...«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß, es
klingt dumm, aber ich kann es nicht sagen. Es war eben ein Bügeleisen .«
    »Und das, nachdem Sie es jahrelang
benutzt hatten !« Er seufzte verdrossen. »Aber
jedenfalls war es ein Bügeleisen, das wissen Sie doch noch ?«
    »Oh, ja.«
    »Gut, das war’s dann wohl .« Er erhob sich. »Sie sind sicher müde, ich will Sie nicht
länger aufhalten. Nochmals vielen Dank. Guten Abend, Mrs. Archer.«
    »Guten Abend ?«

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