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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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Schicksal seinen Lauf nehmen. Beeilen Sie sich, und kein Wort zu ihm !«
    Wie besessen raste sie die Treppe hoch,
ihr Morgenmantel flatterte hinter ihr wie ein Fallschirm. Das leise Klicken der
Hintertür, als Westcott das Haus verließ, wurde vom Offnen der Haustür
übertönt; Archer kam herein und zerrte an dem Schlüssel, der im Schloß klemmte.
Von oben vernahm er das leise Plätschern von Badewasser.
    Er schloß die Haustür, ging bis an die
Treppe und rief mit ganz natürlicher Stimme: »Josie! Weißt du, wo meine
Eisentabletten liegen? Ich hab sie vergessen !«
    »Stephen! Nicht schon wieder !« ertönte von oben ihre vorwurfsvolle Stimme. »Ich hab dich
doch extra noch gefragt, als du weggegangen bist. Und jetzt hast du bestimmt
den Zug verpaßt !«
    »Was soll’s, ich nehm den um 9 Uhr 22 .«
    »Sie sind in der Anrichte im Eßzimmer,
das weißt du doch !« Ihre Stimme erreichte ihn,
unterstützt von den gekachelten Wänden des Bades, die wie ein Resonanzboden
wirkten, klar wie das Ticken eines Metronoms.
    »Ich versteh dich nicht !« Er war schon halbwegs oben. »Augenblick. Ich komm hoch .«
    Seine schlurfenden Schritte übertönten
ein zweites schwaches Klicken der Hintertür, als sei sie beim ersten Mal nicht
richtig ins Schloß gefallen, und einen Augenblick später huschte Westcott
hinten im Flur um die Ecke und verschwand lautlos durch die Kellertür. Er
klemmte schnell etwas darunter, damit sie einen Spalt
breit offen blieb und ging die Treppe hinunter.
    »Ich sagte, sie sind in der Anrichte«,
rief sie nochmal.
    Doch da war Archer schon bei ihr im
Badezimmer. Sie lag zurückgelehnt in der Wanne, bis zum Kinn in blaugrünem
Wasser. Ihr Schamgefühl hatte sie bei seinem Eintreten noch weiter zurücksinken
lassen. Die Lampe mit ihrem polierten viereckigen Reflektor warf einen
weißlich-violetten Schein auf sie.
    »Bist du sicher, daß sie nicht im
Medizinschränkchen sind ?« Ehe sie etwas sagen konnte,
durchquerte er bereits den kleinen gekachelten Raum. Als er an der Lampe
vorbeikam, zuckte sein Ellbogen nahezu unmerklich zur Seite, nur ein paar
Millimeter.
    Das langstielige Gerät schwankte und
kippte fast im Zeitlupentempo in Richtung Badewanne.
    »Stephen, die Lampe !« kreischte sie.
    Er hatte ihr den Rücken zugewandt und
wühlte im Medizinschrank. Er schien sie nicht gehört zu haben.
    »Die Lampe !« schrie sie ein zweites Mal, noch gellender. Mehr Zeit blieb ihr nicht.
    Das weißlich-violette Licht hatte sich
schon zu Orange abgeschwächt, als die Lampe in einem weiten Bogen
herunterkippte. Das Orange verfärbte sich zu Rot. Dann verlöschte das Licht mit
einem gefährlichen Zischen im Wasser. Es schien kein Strom mehr durch die Lampe
zu fließen, als sie eintauchte.
    Jetzt endlich, als er das klatschende
Geräusch vernahm, drehte er sich um und wandte sich ihr gleichmütig zu. Erst
als er sah, daß sie in der Badewanne aufgesprungen war, sich ein Handtuch
schnappte, es um sich wickelte und vor der zischenden Lampe zurückwich, trat
Erstaunen in sein Gesicht.
    Mit einem wütenden, fragenden Blick
schaute er auf die Steckdose. Da schien alles noch in Ordnung zu sein. Er ging
hin, zog den Stecker heraus, steckte ihn wieder hinein — als wolle er einen
unterbrochenen Kontakt wiederherstellen. Sie stand immer noch da, bis zu den
Knien im Wasser. Sie fiel nicht um. Stand ganz gerade da, mit weit
aufgerissenen Augen, und versuchte unbeholfen mit der freien Hand, die Lampe
aus dem Wasser zu heben.
    Das Erstaunen in seinem Gesicht wich
einem finsteren, entschlossenen Ausdruck. Er spreizte die Finger, als wolle er
nach etwas greifen. Langsam hob er die Hände hoch und streckte sie nach vorne.
Er trat einen Schritt auf sie zu, um sie über den Rand der Wanne hinweg
erreichen zu können.
    Eine Stimme ertönte: »Okay. Sie haben
Ihre Chance gehabt, und Sie haben sie vertan. Jetzt legen Sie Ihre Hände hier
rein — und nicht dahin, wo Sie es vorhatten — ehe ich Ihnen ein paar Zähne ausschlage .«
    Westcott stand in der Badezimmertür; in
der einen Hand hielt er ein Paar Handschellen, spielte mit ihnen herum, so wie
mit einem Schlüsselanhänger oder der Kette einer Taschenuhr, in der anderen
Hand zuckte in Hüfthöhe ein rechteckiges Stück geschweißtes Metall.
    Archer machte unwillkürlich einen Satz
nach vorn, hielt aber rechtzeitig inne, als sich das Metallstück, nun ganz
hervorgezogen, in einen bedrohlichen Revolverlauf verwandelte. Er zog sich, so
weit wie in dem kleinen Raum möglich,

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