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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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bedrohlich, sondern herrlich.
    Er stellte den Wecker auf drei Uhr.
Aber diesmal war das etwas Besonderes. Anstatt ein harmloses Läutwerk in Gang
zu setzen, wenn der Stundenzeiger auf drei und der Minutenzeiger auf zwölf vorrückte , würden die Drähte, die daran angeschlossen waren
und zu den Batterien führten, einen Funken auslösen. Ein einziger, kleiner,
flüchtiger Funke — mehr nicht. Und wenn das passierte, würde sogar das
Schaufenster in seinem Laden in der Stadtmitte vibrieren, und es würde
vielleicht sogar das eine oder andere von den besonders empfindlichen Uhrwerken
stehenbleiben. Und die Leute auf der Straße würden innehalten und einander
fragen: »Was war denn das ?«
    Man würde hinterher wahrscheinlich
nicht einmal mehr mit Sicherheit sagen können, ob zu dem Zeitpunkt außer ihr
noch jemand im Haus war. Und daß sie dagewesen war, würde man nur durch eine
Art Umkehrschluß herausfinden; danach würde sie nirgendwo anders mehr sein. Und
daß das Haus da gestanden hatte, würde man nur noch an dem Kraterloch im Boden
und dem Schutt drumherum sehen können.
    Er fragte sich, warum nicht mehr Leute
so etwas machten; die wußten gar nicht, was ihnen entging. Wahrscheinlich waren
sie einfach nicht clever genug, so etwas selbst zu basteln.
    Als er den Wecker nach seiner
Taschenuhr gestellt hatte — auf 1 Uhr 15 — löste er die Rückwand vom Gehäuse,
in die er bereits im Laden ein kleines Loch gebohrt hatte. Vorsichtig schob er
die fühlerartigen Drähte hindurch, noch vorsichtiger befestigte er sie an den
entsprechenden Teilen des Werkes, achtete dabei sorgfältig darauf, daß sich
kein Zittern an ihnen entlang fortpflanzte. Es war höchst gefährlich, aber
seine Hände ließen ihn nicht im Stich, sie waren zu geübt in dieser Art von
Tätigkeit. Es war nicht nötig, die Rückwand wieder festzuschrauben, das würde
am Ergebnis nichts ändern, aber er tat es dennoch, um die Arbeit ordentlich zu
Ende zu führen, seinen Handwerkerstolz zu befriedigen. Als er damit fertig war,
stand der Wecker da auf dem Boden, als wäre er ganz zufällig dorthin geraten,
direkt neben der unschuldig wirkenden Kiste mit dem Kupferdeckel, und tickte
vor sich hin. Zehn Minuten waren vergangen, seit er heruntergekommen war. Eine
Stunde und vierzig Minuten würde es jetzt noch dauern.
    Der Tod hatte sich auf den Weg gemacht.
    Er erhob sich und blickte hinab auf
sein Werk. Er nickte, trat einen Schritt zurück, ohne den Blick von ihm zu
lösen, und nickte noch einmal, als würde diese geringfügige Veränderung der
Perspektive das Ganze nur noch verbessern. Er ging hinüber zu der Treppe, die
nach oben führte, blieb dort stehen und schaute zurück. Er hatte sehr gute
Augen und konnte auch von hier aus jeden einzelnen Minutenstrich genau
erkennen. Um einen von ihnen war der Minutenzeiger bereits weitergeglitten.
    Auf seinen Lippen lag ein Lächeln, als
er die Treppe hinaufging, nicht verstohlen oder ängstlich, sondern so, wie sich
ein Mann in seinem eigenen Haus bewegt, mit festem Schritt und der gelassenen
Miene des Besitzenden, den Kopf hoch erhoben, die Schultern gestrafft.
    Er hatte über sich keinen Laut gehört,
während er unten war, und durch den dünnen Boden konnte man fast alles hören,
das wußte er aus Erfahrung. Selbst das Geräusch beim Offnen und Schließen der
Türen drang in den Keller hinab, und mit Sicherheit würde man hier Schritte im
Parterre hören, wenn der Betreffende normal auftrat. Und wenn an bestimmten
Stellen geredet wurde, konnte man die Stimmen hören und manchmal sogar die
einzelnen Worte verstehen, so hellhörig war das Haus. Die Nachrichten im Radio
hatte er sich schon oft hier unten vom Keller aus angehört.
    Deshalb war er, als er die Kellertür
öffnete und in den Flur trat, umso überraschter, oben, im ersten Stock ein
leises Geräusch zu hören. Einen einzigen, einsamen Fußtritt, isoliert, ohne
Zusammenhang, wie Freitags Fußstapfen, von Robinson Crusoe entdeckt. Er blieb
einen Augenblick wie angewurzelt stehen, lauschte angestrengt, dachte — oder
besser: hoffte, er habe sich geirrt. Aber nein. Das unverkennbare Geräusch vom
Öffnen oder Schließen einer Schublade drang an sein Ohr, und dann vernahm er
ein leises Klirren, wie von einem der Parfümfläschchen auf Frans
Toilettentisch.
    Wer außer ihr konnte das sein? Und
doch, diese schwachen, merkwürdigen Geräusche hatten etwas Verstohlenes an
sich, das nicht zu ihr paßte. Er hätte sie hereinkommen hören; mit

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