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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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später nach Hause kam, sah er am Straßenrand einen
großen trockenen Fleck, der trotz des feinen Nieselregens noch nicht die
schwarze Färbung nassen Asphalts angenommen hatte. Dadurch kannte er die Zeit,
in der sie ihn betrog, ganz genau.
    Natürlich hätte er die ganze Sache ans
Licht bringen können, wenn er gewollt hätte. Er hätte einfach nur irgendwann in
diesen sechs Wochen einmal überraschend eine Stunde früher nach Hause kommen
und sie auf frischer Tat ertappen müssen. Doch er zog es vor, heimtückisch
tödliche Rache zu üben; sie hätten ihm vielleicht eine Erklärung geliefert, die
ihn an seinem Vorhaben hätte zweifeln lassen, hätten ihn womöglich des
Vorwandes beraubt, unter dem er tun wollte, wonach er sich so sehnte. Und er
kannte seine Frau so gut, daß er einfach fürchten mußte, sie würde genau das
tun, wenn er ihr nur eine Gelegenheit dazu gab. Fürchten war das richtige Wort.
Er wollte es tun. Er wollte es nicht zu einer Konfrontation kommen lassen,
sondern die Sache ein für alle Mal erledigen. Dieser künstlich genährte Groll
hatte ganz einfach das Gift, das sich in ihm angesammelt hatte, zum Überkochen
gebracht. Ohne den konkreten Anlaß hätte es vielleicht noch weitere fünf Jahre
vor sich hingebrodelt, doch früher oder später wäre es mit Sicherheit zum
Ausbruch gekommen.
    Er kannte ihren häuslichen Tagesablauf
so gut, daß es ein Kinderspiel für ihn war, unbemerkt mit seinem Mitbringsel
ins Haus zu kommen, während sie nicht da war. Morgens putzte sie immer. Dann
nahm sie ein paar Happen zu sich, ihr Mittagessen. Danach, am frühen
Nachmittag, ging sie weg und machte die Einkäufe fürs Abendessen. Sie hatten
zwar ein Telefon, aber sie ließ sich die Sachen nie ins Haus liefern; sie sagte
immer wieder, sie wolle lieber selbst sehen, was sie kaufte, sonst drehten
einem die Verkäufer einfach irgend etwas an, und die Preise konnte man auch
nicht nachprüfen.
    Also war die beste Zeit für ihn
zwischen eins und zwei, da konnte er auch sicher sein, unbemerkt wieder
wegzukommen. Um Punkt halb eins wickelte er den Wecker in gewöhnliches braunes
Packpapier ein, klemmte ihn sich unter den Arm und verließ den Laden. Er ging jeden
Tag genau um dieselbe Zeit zum Mittagessen. Heute würde er lediglich ein wenig
später zurückkommen. Natürlich schloß er die Tür sorgfältig hinter sich ab;
warum sollte er ein Risiko eingehen, er hatte einfach zu viele wertvolle Uhren
zur Wartung und Reparatur im Laden.
    Er stieg an der nächsten Ecke in den
Bus, genau wie jeden Tag, wenn er abends nach Hause fuhr. Es bestand keine
Gefahr, vom Busfahrer, von anderen Fahrgästen oder sonstwem erkannt zu werden,
dafür war die Stadt zu groß. Hunderte von Menschen fuhren Tag und Nacht mit
diesen Bussen. Die Fahrer blickten nicht einmal auf, wenn man bezahlte, sie
gaben einem das Wechselgeld ohne hinzuschauen zurück, merkten allein an der
Größe des Geldstückes, wieviel man ihnen gegeben hatte. Der Bus war praktisch
leer, um diese Tageszeit fuhr niemand in seine Richtung hinaus.
    Er stieg an der üblichen Haltestelle
aus, drei endlose Vorstadthäuserblocks von seinem Haus entfernt; aus diesem
    Grund war es keine besonders glückliche
Investition gewesen, als er es gekauft hatte, und es wurde später ringsum
keines mehr dazugebaut. Doch an Tagen wie diesem hatte es auch seine Vorteile.
Es gab keine Nachbarn, die ihn von ihren Fenstern aus beobachteten, die sich
wunderten, was er um diese Zeit zuhause wollte, und die sich vielleicht später
daran erinnern würden. Der erste der drei Blocks, an dem er vorbei mußte,
beherbergte eine ganze Reihe von Gewerbesteuerzahlern, eine Kette von Läden,
nur Parterre. Die beiden anderen waren von einer Ecke bis zur nächsten völlig
unbebaut, auf jeder Straßenseite zog sich nur eine Reihe von Reklametafeln hin;
eine ganze Gallerie freundlicher Leute, die ihn zweimal täglich anstrahlten.
Sie waren unverbesserliche Optimisten; selbst heute, wo sie in Splitter
zerfetzt werden würden, verkündeten sie noch aufdringlich grinsend ihre
Ratschläge und aufmunternden Botschaften. Der schwitzende Dicke mit der Glatze,
der irgendein alkoholfreies Getränk schlürfte: »Die erfrischende Pause!« Die
grinsende schwarze Hausangestellte, die Wäsche auf die Leine hängte: »Nein,
Madam, ich nehme nur ein bißchen Oxydol .« Die
Farmersfrau, die am Telefon eine Hand über die Sprechmuschel legte und
kicherte: »Sie reden immer noch von ihrem neuen Ford 8 !« In zwei Stunden

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