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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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zu
vernehmen, denn sie bewegten sich mit unglaublicher Geschicklichkeit, mußten
eine Menge Übung im Einbrechen haben. Sie traten aus reiner Gewohnheit selbst
dann sehr vorsichtig auf, wenn dazu kein Anlaß mehr bestand. Eine einzige
Bemerkung sickerte durch, aus der Nähe der Hintertür. »Alles erledigt? So,
nichts wie raus hier!« Das Quietschen einer Tür und dann die schreckliche
Gewißheit, daß sie sich hinter ihnen schloß, die Hintertür, die Fran vielleicht
versehentlich nicht abgeschlossen hatte, durch die sie wohl auch ins Haus
gelangt waren; und dann waren sie weg.
    Und mit ihnen war auch seine einzige
Verbindung zur Außenwelt verschwunden. Sie waren die beiden einzigen Menschen
in der ganzen Stadt, die wußten, wo er zur Zeit war. Niemand sonst, keine
Menschenseele, wußte, wo er steckte. Und auch nicht, was mit ihm passieren
würde, wenn man ihn bis drei Uhr nicht fand und hier herausholte. Jetzt war es fünf
nach halb zwei. Seine Entdeckung der Einbrecher, ihr Kampf, das Fesseln und
schließlich ihr gemächliches Verschwinden, das alles hatte insgesamt nur eine
Viertelstunde gedauert.
    Es machte ticktack, ticktack; so
rhythmisch, so unbarmherzig, so schnell.
    Noch eine Stunde und fünfundzwanzig
Minuten. Fünfundachtzig Minuten. Wie lange konnte das sein, wenn man auf
jemanden wartete, an einer Straßenecke, im strömenden Regen, unter einem Schirm
— so hatte er einmal auf Fran gewartet, als sie noch nicht verheiratet waren,
vor der Firma, in der sie damals arbeitete, um schließlich herauszufinden, daß
sie sich an diesem Tag nicht wohlgefühlt hatte und schon früher nach Hause
gegangen war! Wie lange konnte das sein, wenn man mit höllischen Kopfschmerzen
in einem Krankenbett lag und nur auf die weißen Zimmerwände schauen konnte, bis
wieder einmal jemand mit einem Essenstablett kam - so war es ihm gegangen, als
er mit der Gehirnerschütterung im Krankenhaus gelegen hatte. Wie lange konnte
das sein, wenn es noch zu früh war, um ins Bett zu gehen, man die Zeitung aber
schon zu Ende gelesen hatte und im Radio eine Röhre durchgebrannt war. Und wie
kurz, wie flüchtig, wie vergänglich konnte das sein, wenn es alle Zeit war, die
man noch zu leben hatte, wenn man nach ihrem Ablauf sterben würde!
    Noch nie war, unter all den Hunderten
von Uhren, die er repariert und in Ordnung gebracht hatte, eine so schnell
gegangen! Dieser Wecker war ein Werk des Teufels, bei ihm wurden die
Viertelstunden zu Minuten und die Minuten zu Sekunden. Der Minutenzeiger hielt
nicht einmal für einen Moment auf den kleinen Strichen an, so wie es hätte sein
sollen, sondern rückte in ständiger Bewegung immer weiter. Er betrog ihn, ging
viel zu schnell. Wenn ihn doch nur irgend jemand wenigstens etwas abbremsen
würde! Er drehte sich wie ein Windrädchen, dieser Minutenzeiger.
    Ticktack, ticktack, ticktack. Er dachte
im Takt dazu: »Gib acht, gib acht, gib acht !«
    Nachdem die beiden gegangen waren,
herrschte lange Zeit — ihm schien, endlos lang — völlige Stille. Der Wecker
sagte ihm, daß es nur einundzwanzig Minuten waren. Dann, um vier vor zwei, ging
oben plötzlich eine Tür auf — oh, welch herrliches, liebliches Geräusch! — die
Haustür diesmal (drüben, über der anderen Seite des Kellers), und ein Paar
hochhackige Schuhe klapperte über seinem Kopf wie Kastagnetten.
    »Fran !« rief
er. »Fran !« schrie er. »Fran !« brüllte er. Aber alles, was durch den Knebel drang, war ein leises Wimmern,
schon auf der anderen Seite des Kellerraumes kaum mehr vernehmbar. Sein Gesicht
hatte sich vor Anstrengung bläulich verfärbt, und auf beiden Seiten seines
bebenden Halses traten die Sehnen wie Schienen hervor.
    Das Klappern verlagerte sich in
Richtung Küche, hielt kurz inne (sie stellte die Einkaufstüten ab; sie ließ
sich die Sachen nie ins Haus liefern, weil sie sonst dem Ladenjungen zehn Cent
Trinkgeld hätte geben müssen) und kam wieder zurück. Wenn er doch nur mit den
zusammengebundenen Füßen gegen irgendetwas treten, ein lautes Geräusch erzeugen
könnte. Der Kellerboden war nackter Beton von Wand zu Wand. Er versuchte, seine
zusammengebundenen Beine anzuheben und sie mit aller Kraft herabsausen zu
lassen; vielleicht würde der Aufprall bis nach oben zu ihr durchdringen. Doch
alles, was er zustandebrachte, war ein sanftes, dumpfes Geräusch; das Ganze war
für ihn viel schmerzhafter, als wenn er mit der flachen Hand auf einen Stein
geschlagen hätte, war aber nicht annähernd so deutlich

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