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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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einem
gleichmäßigen Rhythmus, ebenso gleichmäßig, wie der Wecker tickte, nur waren
die Zeitabstände größer. Wie konnte einen ein Seil nur so unnachgiebig
festhalten? Er war jedesmal, wenn er sich zurückfallen ließ, ein wenig
kraftloser, etwas weniger in der Lage, sich mit ihm zu messen als beim
vorhergehenden Versuch. Denn er bestand schließlich nicht aus dünnen
Hanfsträngen, bei ihm lagen dünne Hautschichten übereinander, und die gingen
eine nach der anderen entzwei, strahlten brennenden Schmerz aus und verströmten
schließlich Blut.
    Die Türklingel schrillte. Der Mann war
da. Nicht einmal zehn Minuten nach dem Anruf! Stapps Brustkorb hob und senkte
sich schneller; er hatte wieder Hoffnung geschöpft. Jetzt waren seine Chancen
wieder besser. Doppelt so gut wie zuvor, mit zwei Personen im Haus statt einer
einzigen. Mit vier Ohren statt zweien, die vielleicht auch ein so leises
Geräusch, wie er es hervorbringen konnte, hören würden. Und er mußte jetzt
unbedingt irgendeine Möglichkeit finden, Lärm zu machen. In Gedanken segnete er
den Fremden, der dort droben vor der Tür stand und darauf wartete, daß sie ihn
einließ. Er dankte Gott für diesen Verehrer oder was immer er war, er dankte
Gott für ihr Rendezvous. Er würde den beiden seinen Segen geben, wenn sie es
wollten, und all sein Hab und Gut dazu; alles, alles würde er ihnen geben, wenn
sie ihn nur fanden und befreiten.
    Sie kam die Treppe heruntergerannt, und
ihre Schritte eilten durch die Diele. Die Haustür ging auf. »Hallo, Dave«,
sagte sie, und er konnte deutlich das Geräusch eines Kusses hören. Es war einer
dieser lauten, leicht schmatzenden Küsse, die eher auf Herzlichkeit als auf
eine Liebschaft hindeuten.
    Eine tiefe, klangvolle Männerstimme
fragte: »Und, hast du es gefunden ?«
    »Nein, und ich hab alles auf den Kopf
gestellt«, hörte er sie antworten. »Ich habe versucht, Paul anzurufen, nachdem
ich mit dir gesprochen hatte, aber er war zum Mittagessen weg .«
    »Okay, aber du kannst doch nicht
einfach tatenlos zusehen, wie siebzehn Dollar zur Tür hinausspazieren .«
    Wegen siebzehn Dollar standen sie da
herum und ließen sein Leben dahinschwinden — und ihr eigenes obendrein, die
Narren!
    »Sie werden sicher denken, daß ich es
war«, hörte er den Mann mit bitterer Stimme sagen.
    »Sag nicht so was !« schalt sie ihn. »Komm in die Küche, ich mach dir eine Tasse Kaffee .«
    Sie eilte mit schnellen, nervösen
Schritten voran, dann folgte er, langsamer, mit schwerem Tritt. Ein paar Stühle
wurden verrückt, und die Schritte des Mannes erstarben ganz. Ihre waren noch
eine Zeitlang zu hören, sie eilte geschäftig zwischen Herd und Tisch hin und
her.
    Was hatten sie bloß vor, wollten sie
etwa die nächste halbe Stunde einfach dort rumsitzen? Konnte er sie denn nicht
irgendwie auf sich aufmerksam machen? Er versuchte, sich zu räuspern, zu
husten. Es tat höllisch weh, weil sein ganzer Hals wund war von der langen
Anstrengung. Doch der Knebel dämpfte auch das Husten zu einem kaum vernehmbaren
Geräusch, einer Art Schnurren.
    Sechsundzwanzig vor drei. Nur noch
Minuten; nicht mal mehr eine halbe Stunde blieb ihm.
    Schließlich wurde ein Stuhl etwas zur
Seite gerückt, sie setzte sich zu ihm an den Tisch, und auch ihre Schritte
waren nun nicht mehr zu hören. Um Herd und Spülstein herum war der Boden mit
schalldämpfendem Linoleum belegt, aber in der Mitte, beim Tisch, bestand er aus
gewöhnlichen Holzdielen, die jeden Ton glasklar durchließen. Er hörte sie
sagen: »Findest du nicht, daß wir Paul alles erzählen sollten — alles von uns
beiden ?«
    Der Mann antwortete nicht sofort.
Vielleicht nahm er sich gerade einen Löffel Zucker für den Kaffee oder dachte
über das nach, was sie gesagt hatte. Schließlich fragte er: »Was für ein Mensch
ist er ?«
    »Paul ist nicht engstirnig«, erwiderte
sie. »Er ist sehr fair und tolerant .«
    Selbst in seiner Todesangst war sich
Stapp, wenn auch undeutlich, einer Tatsache bewußt: Das war ziemlich
ungewöhnlich für sie. Nicht, daß sie gut über ihn sprach, sondern daß sie es so
ruhig in Erwägung zog, ihm gegenüber ein derartiges Thema anzuschneiden. Sie
hatte auf ihn immer so korrekt und etwas prüde gewirkt. Ihr momentanes
Verhalten verriet ein Niveau, das er nie bei ihr vermutet hätte.
    Der Mann war sich offensichtlich nicht
sicher, ob sie Paul ins Vertrauen ziehen sollten, jedenfalls sagte er nichts
weiter. Sie fuhr fort, als wolle sie ihn überreden: »Wegen Paul

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