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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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Brummen
eines Autos, das angelassen wurde.
    Und jetzt war er ein zweites Mal allein
mit seinem selbstgebastelten Verhängnis, und im Nachhinein erschien ihm das
erste Mal wie das Paradies, denn da hatte er noch eine ganze Stunde gehabt, war
reich an Zeit gewesen, und jetzt hatte er nur noch eine Viertelstunde,
jämmerliche fünfzehn Minuten. Es hatte keinen Zweck mehr, noch weiter gegen die
Fesseln anzukämpfen. Das war ihm schon lange klar. Er hätte es auch gar nicht
mehr gekonnt, selbst wenn er gewollt hätte. Seine Hand- und Fußgelenke
brannten, als würden Flammen sie träge umzüngeln.
    Jetzt verschaffte er sich auf die
einzig mögliche Weise, die ihm verblieben war, etwas Linderung. Er hielt die
Augen unverwandt nach unten, auf den Boden gerichtet und stellte sich vor, daß
die Zeiger langsamer vorrückten, als sie es in Wirklichkeit taten, das war
besser, als ständig darauf zu schauen, es schwächte den Schrecken zumindest ein
wenig ab. Gegen das Ticken konnte er sich nicht abschirmen. Natürlich konnte er
ab und zu der Versuchung nicht widerstehen, doch hinzusehen, um seine eigene
Kalkulation zu überprüfen, und das war jedes Mal eine Höllenqual, aber
dazwischen war es für ihn erträglicher, wenn er sich sagen konnte: »Erst eine
halbe Minute, seit ich das letzte Mal hingeguckt hab.« Dann versuchte er, die
Augen so lange wie möglich auf den Boden gerichtet zu halten, aber wenn er
nicht mehr konnte und den Blick wieder hob, um zu sehen, ob seine Kalkulation
stimmte, waren es bereits zwei Minuten. Er bekam einen üblen
hysterischen Anfall, flehte Gott und selbst seine vor langer Zeit verstorbene
Mutter an, ihm zu helfen, und konnte vor lauter Tränen nichts mehr sehen. Dann
riß er sich zusammen, so gut er konnte, und fing von neuem mit der
Selbsttäuschung an. »Erst dreißig Sekunden, seit ich das letzte Mal hingesehen
hab... jetzt ungefähr eine Minute...« (Aber stimmte das? Stimmte es wirklich?)
Und so ging es langsam weiter, bis zu einem neuen Höhepunkt des Schreckens mit
nachfolgendem entsetzlichem Zusammenbruch.
    Dann regte sich plötzlich wieder die
Außenwelt, die Welt, von der er so abgeschnitten war, daß sie ihm so weit weg,
so unwirklich vorkam, als sei er bereits tot. Es klingelte an der Tür.
    Zunächst schöpfte er daraus keine
Hoffnung. Vielleicht ein Hausierer — nein, dazu war das Klingeln zu forsch
gewesen, zu gebieterisch, es hatte eher Einlaß gefordert als ihn höflich zu
erbitten. Es läutete nochmals. Wer immer da draußen stand, war äußerst
ungehalten, weil man ihn so lange warten ließ. Es klingelte ein drittes Mal,
diesmal lang und durchdringend; der Besucher schien den Finger fast eine halbe
Minute lang auf den Klingelknopf zu pressen. Dann, als das Läuten endlich
aufhörte, ertönte eine kräftige Stimme: »Ist jemand zuhause? Der Gasmann ist da !« Und plötzlich zitterte Stapp am ganzen Körper, brachte
vor aufgeregter Erwartung ein freudig wieherndes Geräusch hervor.
    Das war das einzige Signal, das einzige Ereignis im gesamten
Tagesablauf, vom frühen Morgen bis spät abends, auf Grund dessen jemand
herunter in den Keller hätte kommen können! Die Gasuhr hing dort an der Wand,
neben der Treppe, starrte ihn ununterbrochen an. Und gerade jetzt mußte ihr
Bruder sie aus dem Haus führen! Es war niemand da, der den Mann hereinlassen
konnte!
    Zwei ungeduldige Füße scharrten auf dem
Betonweg. Der Mann mußte ein wenig vom Hauseingang zurückgetreten sein, um
besser in die Fenster im ersten Stock hineinsehen zu können. Und während er
immer verärgerter vor dem Haus hin und her ging, konnte Stapp einen flüchtigen
Augenblick lang durch das verschmutzte Oberlicht, das ein wenig Helligkeit von
draußen herein ließ, verschwommen seine Beine sehen. Der potentielle Retter
hätte sich nur hinzuknien und einen Blick nach drinnen
zu werfen brauchen, um ihn gefesselt daliegen zu sehen. Und der Rest wäre so
leicht!
    Warum tat er es nicht, warum nur? Aber
offensichtlich rechnete er nicht damit, daß jemand im Keller dieses Hauses war,
nachdem er dreimal vergeblich geklingelt hatte. Das Hoffnung erweckende
Beinkleid verschwand wieder, durch das Fenster war nichts mehr zu sehen. Ein
wenig Speichel sickerte durch den Knebel in Stapps halb aufgerissenem Mund und
rann über seine lautlos zitternde Unterlippe.
    Der Gasmann versuchte es noch einmal
mit der Klingel, eher, als wolle er seiner Enttäuschung darüber, daß er umsonst
hergekommen war, Luff machen, als in der Erwartung,

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