Das Ferienhaus der Liebe
kennen gelernt hatte, und vielleicht war es sogar ein Vorteil, dass man sie entlassen hatte. Jetzt konnte nichts sie davon abhalten, sich einen Job in Marsillac zu suchen, wo Philippe lebte, und er hatte ihr ja gesagt, sie solle ihn besuchen, wenn sie dort in der Gegend sei.
“Wohin fahren wir eigentlich?” fragte Polly, der jetzt erst auffiel, dass sie eine Landstraße entlangfuhren.
“Ich habe ein Zimmer in einem Hotel ungefähr dreißig Kilometer von hier gebucht. Bestimmt findet sich dort auch ein Zimmer für dich.”
“Ein Hotel, in dem du absteigst, kann ich mir bestimmt nicht leisten”, meinte Polly zweifelnd.
“Ich bezahle für dich.”
“O nein, das kann ich nicht zulassen”, protestierte sie.
“Sei nicht albern!” erwiderte Simon gereizt. “Glaubst du, ich würde dich mitten in der Nacht am Straßenrand absetzen, wenn du, wie du mir erzählt hast, nur noch fünfzig Francs besitzt?”
“Bring mich doch nach Nizza. Da finde ich bestimmt eine billige Unterkunft für eine Nacht.”
“Nein. Nizza liegt nicht auf meinem Weg”, sagte er wenig hilfsbereit.
Unbehaglich rutschte Polly auf dem Sitz herum. “Ich finde trotzdem, du solltest mein Hotelzimmer nicht bezahlen. Der Sinn meines Aufenthalts in Frankreich ist doch, Dad zu beweisen, dass ich mich allein zurechtfinde. Ich will niemand verpflichtet sein.”
“Um Himmels willen, Polly, es geht doch nur um eine Nacht!
Außerdem ist es zum Teil meine Schuld, dass du den Job verloren hast.”
“Nein, es war nicht deine Schuld”, widersprach sie bestürzt. “Du hast Mrs. Sterne ja nicht erzählt, wir seien verlobt. Außerdem hat sie ohnehin nur auf einen Vorwand gewartet, mich rauszuwerfen.”
“Trotzdem wäre sie vielleicht nicht so wütend geworden, wenn ich ihr gleich gesagt hätte, dass du und ich uns kennen.”
“Na ja, für Bedauern ist es jetzt zu spät”, meinte Polly gelassen.
“Die Arbeit war schauderhaft, und jetzt bin ich gezwungen, nur eine bessere zu suchen. Das ist zwar nicht ganz dasselbe, wie den Job bis zum Ende durchzuhalten, aber Hauptsache, ich arbeite den Sommer über in Frankreich. Dann habe ich Dad bewiesen, dass ich es allein schaffen kann.” Wieder gähnte sie. “Der Rauswurf war Bestimmung.
Ich glaube an das Schicksal.”
Simon blickte zu ihr und schüttelte über ihre unbekümmerte Einstellung den Kopf. “Ich glaube an die Vernunft und schlage deshalb vor, du zierst dich nicht länger, sondern lässt dich von mir ins Hotel bringen. Du schläfst dich richtig aus, und morgen kannst du dir überlegen, was du weiterhin unternehmen willst. Wie klingt das?”
“Na ja…”
“Falls es dir die Entscheidung erleichtert: Ich lasse dir ohnehin keine andere Wahl”, sagte er schroff. “Ich bin heute weit genug gefahren und möchte nur noch ins Hotel, mich ins Bett legen und schlafen. Das könnte ich aber nicht, wenn ich darüber nachdenken müsste, wie ich deinem Vater klarmachen soll, dass ich dich mitten in Nizza mit deinen Tragetüten abgesetzt habe, obwohl du keinen blassen Schimmer hattest, wohin, was tun und wovon leben.”
“Ja, wenn du es so formulierst…” Polly klang dankbar.
“Du kannst dir sagen, dass ich aus rein egoistischen Gründen handele, wenn das deinen Stolz rettet.”
Nein, sie fand nicht, dass Simon jemals eigensüchtig gewesen wäre. Vernünftig immer, selbstgefällig und überheblich manchmal, aber niemals egoistisch.
Selbst als Elfjähriger hatte er sich geduldig damit abgefunden, dass sie ihm ständig nachgelaufen war. Sie schauderte noch immer, wenn sie daran dachte, wie sie ihm vor allen Leuten mit weithin vernehmlicher Stimme einen Heiratsantrag gemacht hatte! Jeder andere Junge hätte sie spöttisch abgefertigt, aber Simon war dazu viel zu nett gewesen. Trotz des Gelächters der Erwachsenen hatte er ihr übers Haar gestrichen und ihr gesagt, er würde sie heiraten.
“Danke”, sagte Polly, und das galt nicht nur seinem Angebot, ihr das Zimmer zu bezahlen. “Ich gebe dir das Geld zurück, sobald ich kann.”
Flüchtig blickte Simon sie an. “Die beste Art, es mir zurückzuzahlen, wäre, wenn du aufhörtest, darüber zu diskutieren.”
“Ja, Simon! Gewiss, Simon! Was immer du sagst, Simon!”
Er lachte unwillkürlich. “Nachgiebigkeit steht dir nicht, Polly.”
Sie war bestürzt, wie sehr das Lachen sein Gesicht veränderte: die markanten Linien wirkten weicher, und der sonst so streng aussehende Mund war entspannt. Ihr Atem ging rascher. Hatte Simon schon
Weitere Kostenlose Bücher