Das Ferienhaus der Liebe
er sich schockiert bewusst, was er da tat. Es wäre so einfach, sie noch enger an sich zu pressen! Schnell ließ er die Hände sinken und trat einen Schritt zurück.
Einen Moment lang herrschte verlegenes Schweigen.
“Na gut”, sagte Simon schließlich unbehaglich. “Dann wollen wir ins Bett gehen. Es war ein langer Tag.”
“Ja.” Polly räusperte sich. “Ich putze mir nur noch vorher die Zähne.”
Sie flüchtete sich ins Bad und begann, sich mit bebenden Händen abzuschminken. Als Simon sie losgelassen hatte, war sie bitter enttäuscht gewesen.
Und dabei war alles gut gegangen, sogar der Kuss zur Probe morgens, den sie beherrscht und kühl absolviert hatten. Daraufhin hatte sie gedacht, sie könne sich endlich entspannen, aber die Umarmung eben hatte das Gefühl wieder zunichte gemacht.
Es ist Simons Schuld, sagte Polly sich und wischte sich unnötig heftig das Make-up von den Wangen. Wenn er sie nicht so eng an sich gepresst hätte und wenn sie nicht gespürt hätte, wie warm und fest seine Hände waren … und wenn er sie nicht so zärtlich angelächelt hätte, würde sie sich jetzt nicht fragen, wie es sein mochte, wenn sie tatsächlich ein Paar wären. Wie es sein mochte, zu wissen, dass er nebenan sehnsüchtig auf sie wartete und sie sich neben ihn legen und an ihn schmiegen könnte.
Nein, Schluss mit den Phantasien! Es war alles nur Theater, das durfte sie niemals vergessen.
Es wurden zwei herrliche Ferienwochen. Jeden Tag schien die Sonne, und die warme Luft war erfüllt vom Duft des Lavendels und Thymians.
Polly schmückte das Haus verschwenderisch mit Blumen, sie verbrachte angenehme Stunden beim Kochen leckerer Mahlzeiten, die sie meistens auf der Terrasse unter der schattigen Pergola einnahmen, und überhörte geflissentlich Simons Kommentare, wenn er anschließend aufräumte. Seine Bemerkungen über ihre Unordnung klangen zunehmend halbherziger, und für Polly waren sie bloß ein Hintergrundgeräusch, so wie das unablässige Zirpen der Zikaden. Ja, hier war es herrlich, und La Treille wuchs ihr von Tag zu Tag mehr ans Herz.
Alles wäre perfekt gewesen, wenn es nicht die Nächte gegeben hätte. Tagsüber spielte Polly die Rolle der Verlobten überzeugend und unbefangen. Sie blieb gelassen, wenn Simon ihr den Arm um die Taille legte oder ihr die Wange streichelte, und fand nichts dabei, ihn zärtlich zu berühren.
Nachts aber war es anders. Sobald sie die Schlafzimmertür schlössen, war es, als würden sie von einer Ebene der Wirklichkeit auf eine andere transportiert. Unwillkürlich verkrampften sie sich, waren auf der Hut, und die Luft schien vor Spannung förmlich zu knistern, was sich aber keiner von ihnen eingestehen wollten.
Polly blieb oft stundenlang wach und fragte sich, warum sie sich so unbehaglich fühlte. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie sich, mit Simon allein gelassen, hinter einen Schutzwall aus eisiger Höflichkeit zurückzog, damit er bloß nicht auf die Idee kam, sie würde die Zärtlichkeiten ernst nehmen und nicht nur als Teil der Rolle ansehen.
Nach und nach machte sich die Spannung allerdings zwischen ihnen jetzt auch tagsüber bemerkbar, und es fiel ihnen immer schwerer, nicht darauf zu achten und sich so wie bisher zu verhalten.
Manchmal gelang es ihnen jedoch, die Unbefangenheit und Vertrautheit wieder zu erwecken, die früher einmal zwischen ihnen geherrscht hatte, vor allem, wenn sie ausgelassen wie Kinder im Pool herumalberten.
Und eines Tags war es auch damit vorbei. Chantal und Julien deckten den Tisch, während Polly und Simon noch im Pool waren.
Polly War entspannt und glücklich, und Simon wirkte nicht so verhalten wie sonst oft.
Sie rief ihn, und als er sich zu ihr wandte, spritzte sie ihm Wasser ins Gesicht und schwamm schnell weg, aber er holte sie ein und tauchte sie unter. Atemlos und lachend kamen sie an die Wasseroberfläche zurück. Simon umfasste Polly, um sie hoch in die Luft zu heben, und in dem Moment wurde ihnen gleichzeitig bewusst, wie nahe sie einander waren.
Polly sah Simon in die Augen, und ein seltsames Prickeln durchlief sie. Plötzlich schienen ihre Sinne geschärft zu sein, und sie nahm Einzelheiten überdeutlich wahr: die Fältchen um Simons Augen, die Wassertropfen, die ihm über die Schläfen liefen, die glatte Haut seiner Schultern, seine warmen Hände an ihrer Taille … Die Sonne ließ das Wasser glitzern und hüllte sie in einen Funkenregen, die Zeit schien still zu stehen und alles um sie her zu
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