Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Fest Der Fliegen

Das Fest Der Fliegen

Titel: Das Fest Der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
Vom Netzwerk:
Wieder kniete er sich. Und leise, wie für sich selbst, doch so, dass alle es verstanden, betete er: »O himmlischer Vater! Ich, dein unwürdiges und ungehorsames Kind falle nieder vor deine Füße und bitte dich durch die Wunden deines Sohnes: Erleuchte doch die Finsternis meiner Seele durch die Gnade des Heiligen Geistes, damit ich alle meine Sünden nach ihrer Zahl und Schwere recht erkenne, dieselben schmerzlich bereue, sie vollkommen beichte und das Lob deines allerheiligsten Namens vermehre! Amen.« Seine Brüder stimmten in das Amen ein. Leicester Burton stand auf, betrachtete den Nackten lange. Er sagte: »Kleidet ihn!« und lief in die dunkle Halle. Es war Zeit für das letzte Gebet vor der Nacht. Die Komplet . Wie immer würde er sie mit dem Versikel beginnen: »O Gott, komm mir zu Hilfe.«
    Martina fand ihn schlafend auf dem Ledersofa vor der Staffelei und deckte ihn zu. Sie betrachtete die Bilder der Nacht. Sie versuchte, nicht mit ihrer Liebe für Swoboda zu urteilen, sondern als Galeristin. Diese Gesichter würden sich nicht verkaufen lassen. Jedenfalls nicht in Zungen an der Nelda. Solche Köpfe hängte sich hier keiner an die Wand. Eine bedrückende Mischung von Brutalität und Verlorenheit sprach aus den Porträts, die beim Betrachter Abscheu und Mitgefühl zugleich erregte. Sie fühlte sich an Goya erinnert, an Delacroix, der wilde Ausdruck dieser Malerei zeigte ihr, dass Swoboda alle Kraft, die er aufbringen konnte, für die Bilder verwendet hatte und nun in seiner tiefen Erschöpfung wahrscheinlich den ganzen Tag schlafen würde, um die kommende Nacht wieder erinnerte Gesichter zu malen. Sie betrachtete ihn. Er schnarchte leise. Sein Mund war zu einem Lächeln geöffnet und unwillkürlich musste sie selbst lächeln über diesen Mann, der so viel älter war als sie und dalag wie ein Kind. Sie hob den in allen Farben verfleckten Maloverall vom Boden auf und hing ihn an die Staffelei. In der Küche hantierte sie leise mit dem Geschirr, machte sich Kaffee, setzte sich an den Tisch und sah durchs Fenster dem Morgen zu, der die Stadt langsam aus dem Dunkel wachsen ließ. Sie erinnerte sich an Max Niehaus, ihren Freund, dessen Galerie und Verlag jetzt von Swoboda und ihr geführt wurden, weil Max es in seinem Testament so verfügt hatte. Sie dachte an Peter Gottfreund, der vor über einem Jahr in seiner alten Mühle am anderen Ufer der Mühr mit einer Machete getötet worden war. Seinem Willen gemäß, schon Jahre zuvor notariell hinterlegt, sollte der Mühlengrund mit den angrenzenden, jetzt brachliegenden Hopfenfeldern Max Niehaus gehören, und folglich war er mit dessen Erbe an Swoboda und Martina Matt gefallen. Sie wussten nicht, was sie damit tun sollten. Auch von der Führung eines bibliophilen Verlags verstand Alexander nichts, während sie wenigstens sechs Semester Studium der Kunstgeschichte und deutschen Literatur aufweisen konnte. Ihre Mutter Ilse hatte sie von der Universität ins Hotel Korn zurückbeordert, weil sie allein mit der Verwaltung und mit der altersstarren Klara nicht zurechtkam. Damals ließ sich schon nicht mehr verbergen, dass Ilse eine Trinkerin geworden war. Martina hatte sich gefügt. Ihr fiel ein, dass sie im kommenden Jahr vierzig wurde, und sie erschrak ein bisschen. Sie wärmte ihre Hände am Kaffeebecher. Galerie und Hotel, würde das auf Dauer gehen? Bestimmt nicht. Wenn Ilse so weitertrank, war sie in einem Jahr ein Pflegefall oder tot. Und dann? Das Hotel verpachten oder die Galerie? Nein, nicht die Galerie, zu ihr gehörten Verlag und Wohnung. Unser Zuhause , dachte sie. Die Mühle? Die Mühle und die Felder konnten sie nicht halten. Der Brief fiel ihr ein, den der Ire ihr geschrieben hatte. Leicester Burton. Er wollte das Gelände pachten. Für seine Stiftung. Klang nicht schlecht: Bonanima . Vielleicht würde er sogar etwas investieren. Jedenfalls genug, damit das alte Haus nicht verfiel. Mit Alexander konnte sie in den nächsten Tagen nicht darüber sprechen. Alltagsgeschäfte ertrug er in dieser Malphase nicht. Außerdem kannte Burton das Anwesen noch gar nicht. Sie beschloss, ihm heute die Schlüssel zu überlassen. Er sollte es sich in Ruhe ansehen können, bevor er zu einer Entscheidung kam. Sie tupfte den Zeigefinger in den nassen Kaffeetassenring auf dem Tisch und malte ein Häkchen, das als feuchte Spur im Holz sichtbar blieb. Mühlenproblem erledigt. Vielleicht. Wahrscheinlich. Und dann? Die Ausstellung. Alexanders Bilder. Da keiner solche Köpfe kaufte,

Weitere Kostenlose Bücher