Das Fest Der Fliegen
ausgeschnittenen Kaschmirpullover, dem engen weißen Rock, die blonden Haare zu einem lockeren Nest geschlungen, schien sie ihm mehr ein Bild der Sünde zu sein als eine Frau, der er sagen konnte, was ihn bedrückte. Alexander Swoboda aber vertraute er, nachdem er ihn bei dem Geschrei Otto Sinzingers im Anschluss an die Beisetzung von Karla Matt, dem er fassungslos gefolgt war, als besonnenen, auch im Streit ruhig argumentierenden Mann kennengelernt hatte. Ihm wollte er übergeben, was ihm am Morgen, als er am Marienaltar der Hedwigskirche kniete, aufgefallen war: ein Zettel, verborgen in der Ritze zwischen Altarplatte und rechtem Altarfuß, dort hineingesteckt wie eine Bittschrift in die Klagemauer von Jerusalem. »Es tut mir leid«, sagte Martina, »Alexander ist für ein paar Tage verreist. Und wenn es um etwas gehen sollte, das für ihn wichtig ist, können Sie es mir sagen, ich telefoniere täglich mit ihm.« Schnaubert spürte die Lüge. Er legte die Hände auf beide Armlehnen des Stuhls, als ob er sich festhalten müsse, und sah sich in der Galerie um. Das Haus aus der Barockzeit war noch von Max Niehaus renoviert und ausgebaut worden, und hier im Parterre hatte er einen klaren, weißen Ausstellungsraum geschaffen, der nichts sein wollte als ein Ort für Bilder und Skulpturen. An dem langen Grafikschrank, der unter der hellen Tischplatte zahlreiche flache, breite Schubladen für Drucke, Lithografien, Radierungen, Zeichnungen enthielt, lehnten Ölbilder unterschiedlicher Größe am Boden, düstere Landschaften, Straßenwinkel, aus deren Dunkel schemenhaft Gestalten, Gesichter zu kommen schienen, ohne dass man sie ganz erkennen konnte. »Ich bereite gerade die Ausstellung von Alexanders Bildern vor, wir eröffnen in vier Tagen, hätten Sie Lust, zur Vernissage zu kommen?« »Sehr gern.« Martina zündete sich eine Zigarette an und legte die Packung auf den Tisch. »Sie sehen ja selbst, ich habe noch sehr viel zu tun, Hochwürden. Ich kann Sie wohl kaum bitten, mir beim Rahmen zu helfen?« Der Pfarrer hüstelte. »Ich bin nicht so geschickt mit den Händen.« Er blickte zu einem großen Ölgemälde, zwei mal drei Meter, das fast die gesamte Wand hinter dem Galerietisch einnahm, und fragte: »Das ist auch von ihm?« »Ja. Schon etwas älter. Zwei Jahre. Ich fürchte, unverkäuflich. Es zeigt unsere Stadt, erkennen Sie sie?« »Nein, nicht richtig, da ist doch ein Chamäleon in der Straße, nicht? Dass er ein so großes Chamäleon über unsere Dächer schauen lässt! Ja, die Kunst, ein unheimliches Bild, sehr unheimlich.« »Eine unheimliche Stadt«, sagte Martina knapp. »Alexander wird es Ihnen bei der Eröffnung bestimmt erläutern.« »Ich kann nicht so lange warten, ich muss ihn wirklich dringend sprechen, es ist … es ist gewissermaßen ein Notfall. Dürfte ich wenigstens mit ihm telefonieren?« Martina sah im glatten, rosigen Gesicht des Pfarrers so viel Ängstlichkeit und Schwäche, dass sie sich fragte, wie der junge Mann Glaubensgewissheit vermitteln oder Menschen zur Seite stehen könne, wenn sie an Gott zweifelten. Auch die unentschiedene, immer in Halbtönen hängende Sprechweise, die er hatte und vielleicht für weihevoll und demütig hielt, klang für sie unecht bis zur Verstellung. Schon wegen dieses künstlichen Tons hätte sie niemals bei ihm gebeichtet. Männer, die so sprachen, fand sie, ohne dass sie es hätte begründen können, nicht glaubwürdig. Sie war katholisch, keine Kirchgängerin und in den letzten zwanzig Jahren nur einmal in einer Messe gewesen: zur Trauerfeier für ihre Großmutter Klara Matt. Sie kannte zu viele Einwände, um religiös zu sein. Dennoch hatte sie einmal, als Swoboda sie fragte, ob sie eigentlich an Gott glaube, geantwortet: »Um Atheist zu sein, bin ich zu intelligent.«
Er hatte sehr gelacht. Ihre Begründung hatte ihm gefallen, denn es ging nur um eine einzige Frage, die sie seit dem Studium begleitete. Damals war ihr ein Satz des Philosophen Wilhelm Leibnitz untergekommen, den Swoboda nicht kannte. Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?
Priester hatten darauf eine klare Antwort. Doch wer an keinen Religionsgott glaubte, handelte sich mit dieser einfachen Frage schlaflose Nächte ein. »Ist es denn ein Beichtgeheimnis, über das Sie mit mir nicht sprechen können?« Sie legte einen ironischen Ton in die Frage, der Schnaubert nicht gefiel. »Glauben Sie mir, Frau Matt, es geht um viel, sonst wäre ich nicht hier.« »Sie können es mir ruhig
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