Das Fest Der Fliegen
Geist. Nach einem Jahr brachte ihm der irische Prior den sexuellen Gehorsam gegenüber der Gemeinschaft bei. Die anderen Jungen kannten diesen Gehorsam bereits. Einige waren geschlagen worden, bis sie aufhörten, sich zu wehren. Der jüngste war dreizehn. Ihn mochten sie am liebsten. Weil die verlangte Hingabe sündig war, mussten sie sich danach vor Gott reinigen. Nackt knieten sie im Kreis der Mönche und bekannten, dass sie unkeusch gewesen waren. Sie durften ihre betenden Hände nicht lösen, auch wenn Fliegen, die es im Kloster reichlich gab, sich auf ihren Penis setzten. Nachdem die Umstehenden sie ausgiebig begafft hatten, erteilte der Abt, der an den Sünden beteiligt war, ihnen die Absolution, und die christlichen Patres, die ihre Lust an den nackten Jungen durch deren Demütigung verdoppelten, absolutierten sich wechselseitig. Anfangs hatte Leicester das Ritual gehasst und gefürchtet. Später begann er, die Blicke zu genießen. Er fand heraus, wie er die Brüder durch eine leichte Änderung seiner Haltung erregen konnte, sodass sie in den Beichtgebeten, die der Absolution vorangingen, zu stottern begannen. Seine Bußfertigkeit verwandelte sich in Herrschaft über ihre Gier, und während er kniete, hob er den Kopf und suchte sich mit geöffneten Lippen den Liebhaber für die Nacht aus. Bald kamen andere junge Streuner und wurden aufgenommen. Man fragte in jenen Jahren nicht viel nach vermissten Personen. Wer in den Norden Irlands wechselte oder in den Süden, konnte ohne Mühe verschwinden. Als er zwanzig war, ließen sie ihn gehen und gaben ihm eine Adresse in Amsterdam. Aus diesem ›Kloster‹, einer Wohnung mit vier Zimmern voller Drogen, wo er von drei sogenannten Mönchen vergewaltigt wurde, floh er in einen Konvent der Schwertkämpfer Mariae nach London. Von dort führte ihn die ruhelose Suche nach dem wahren Glauben durch zahllose Gruppen und Orden, bis er vor der Jungfrau von Guadeloupe zum Legionär Christi geweiht wurde. Das hielt ihn nicht davon ab, nach La Reja in Argentinien zu gehen, um die Lehre der Piusbrüder anzunehmen. Hier entschied er sich, seine irischen Patres in Briefen an den einst von ihm verlangten sexuellen Gehorsam zu erinnern. So kam er zu seinen ersten tausend Dollar. Die Mönche zahlten von da an regelmäßig. Seit den Neunzigerjahre erhöhte er den Preis dafür, dass er der irischen Soca – Survivers of Child Abuse seine Erlebnisse nicht mitteilte. Am Ende des Jahrhunderts schrieb er dem Prior, er solle seine Zahlungen einstellen. Er bat um Vergebung für seine Erpressung. Zunächst war er über sein Heimweh erschrocken, dann akzeptierte er seine Sehnsucht, zurückzukehren in das Kloster, in dem er gequält worden war.
»Und so kam ich heim zu euch, Petrus Venerandus«, schloss Domingo seinen Bericht über die Monate als Erntehelfer in Südspanien ab. »Ohne Verrat. Ohne das kleinste Wort über unsere Engelslegion. Das ist die Wahrheit. Ich gelobe es. Beim Licht des Herrn.« Burton fand mühsam zurück in die Gegenwart. Er war Großabt. Er musste entscheiden. Der nackte Domingo zitterte. Die Brüder warteten. »Was sagst du, Gian Pietro Carafa? Hat Domingo die Wahrheit gesagt?« Carafa hob den Kopf und Domingo konnte im Schein der Kerze die hervorspringenden Konturen seines Gesichts sehen. »Ja. Ich glaube, Domingo hat die Wahrheit gesagt, beim ewigen Licht. Ich vertraue ihm. Er ist nicht wie Judas, der unseren Herrn verriet.« Petrus Venerandus holte tief Luft und stöhnte leise. Er musste jetzt fragen: »Wer von euch widerspricht?« Wieder sah er sich selbst dort knien, nackt für die Einblicke der anderen. Die Erinnerung an seine Scham beim ersten Mal kehrte zurück und er rief: »Der Satan ist von ihm genommen. Im Licht der Wahrheit hat er gestanden. Domingo ist unser Bruder und wird es sein, wie er es war.« Salviati, dessen Misstrauen nicht beruhigt war, zügelte sich. Eben hatte er zu dem Einwand ansetzen wollen, dass Domingo sich trotz des erfolgten Exorzismus und auch ohne die Hilfe Luzifers verstellen könnte wie jeder Mensch. Domingo stellte die Kerze auf den Boden, stand auf und verließ die Mitte. »Wohin willst du?«, rief der Großabt. »Ich will mich bekleiden!« »Bleibe im Dunkeln stehen. Und nimm meinen Befehl entgegen. Du wirst dich bewähren, denn Ranuccio hat deinetwegen sein Leben eingebüßt. Du wirst einen Zeugen töten, wie er es tat. Den griechischen Zeugen. Gelobe es!« Domingo trat zurück in den Kreis. Die anderen sahen, wie müde er war.
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