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Das Fest Der Fliegen

Das Fest Der Fliegen

Titel: Das Fest Der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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musste man auf die anderen Bilder setzen, die Landschaften, Winkel, Straßen. SWOBODA 1.
    Kein schlechter Titel. Sie malte ein zweites nasses Häkchen. Der Tag fing gut an.
    »Herr, öffne meine Lippen. Damit mein Mund dein Lob verkünde.« So hatte Giovanni Salviati die Laudes begonnen. Nach dem Morgengebet war die Versammlung der Inquisitio Haereticae Pravitatis zusammengetreten, um das Urteil über eine Dienerin Luzifers zu fällen. War ihre Sünde so schwer, dass sie dem inneren Feuer übergeben werden musste, oder konnte man über ihre Lästerungen hinwegsehen? Sie saßen an dem langen Tisch im Refektorium, und noch war das Licht des Morgens zu schwach, um den Raum zu erleuchten. Die zwei Kronleuchter, die seit dem Erstbezug des Hauses durch die jüdische Brauerfamilie Staff an Ketten von der Decke hingen, warfen warmes Licht auf die versammelten Legionäre, die sich der Bedeutung des Verfahrens bewusst waren: Es ging um den Tod einer Autorin. Rike Weißbinder, Jahrgang 1958, war nach einigen erfolgreichen Sachbüchern zur Rolle der Frau in der westeuropäischen Gesellschaft ein Bestseller gelungen. Mirjam erzählte die Lebensgeschichte der Mutter Jesu als die einer übertrieben ehrgeizigen jungen Frau, die mit dreizehn Jahren, von ihrem Vater vergewaltigt, schwanger wird und sich standhaft weigert, ihrer Mutter Anna den Erzeuger zu benennen. Ihren Sohn erzieht sie zu einem Prediger. Als er gekreuzigt wird, bricht sie zusammen, erkennt ihren Wahn, um jeden Preis berühmt sein zu wollen, und versöhnt sich mit ihrer Mutter. Jesus wird vom Kreuz genommen, ohne gestorben zu sein, und mit der Hilfe des Joseph von Arimathia gelingt ihm die Flucht. Das Buch, das sich auf Wortunstimmigkeiten zwischen den Begriffen Körper und Leiche für den Leib Christi in den Evangelien und auf apokryphe Texte berief, war in mehrere Sprachen übersetzt und in einer Auflage von über sechshunderttausend Exemplaren verkauft worden. Salviati klagte vor der Versammlung Rike Weißbinder an, die Muttergottes verleumdet, ihr Ansehen geschändet, ihre göttliche Wahrheit geleugnet sowie die leibliche Auferstehung Christi und die Himmelfahrt der immerwährenden Jungfrau in Abrede gestellt zu haben. Allein, dass die Gottesmutter in dem Buch konsequent mit der althebräischen Form Mirjam bezeichnet werde und nicht mit ihrem Namen Maria, zeige schon, dass die Autorin versuche, die Virgo immaculata abzuspalten von der historischen Gestalt: Eindeutig ein Versuch, die unteilbare Wahrheit der Verkündigung zu leugnen. Zu ihrem Verteidiger hatte Petrus Venerandus einen Engelslegionär bestellt, der noch niemals getötet hatte, Philippe de la Chambre. Er stand auf und fragte das Gremium: »Ist einer unter euch, der das Buch Mirjam nicht gelesen hat?« Gian Pietro Carafa stand auf. »Ich lese solchen Dreck grundsätzlich nicht. Mir reicht, was in der Anklage steht. Wer unsere Herrin Maria, die Allgnadenerweisende, Gebenedeite, in den Schmutz zieht, ist mit Satan im Bund und hat den Tod verdient. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe.« Der Richter, zu dem Leicester Burton sich selbst gemacht hatte, wies ihn zurecht: »Ich schließe dich aus, Gian Pietro, von der Urteilsfindung. Du kannst fortan zuhören. Aber du bist nicht berechtigt, Fragen zu stellen, Meinungen zu äußern oder deine Stimme in die Waagschale zu werfen. Wir urteilen nicht über Bücher, die uns unbekannt sind.« De la Chambre verneigte sich, als sei das ein Punkt, der an ihn gegangen war, und Carafa setzte sich, ohne zu murren. Was ihm zu sagen wichtig war, hatte er mitgeteilt. Dann trug Salviati die Anklageschrift vor, die in Grundzügen den anderen vorlag. In ihr war zusammengetragen, was seiner Ansicht nach den Prozess der Inquisitio Haereticae Pravitatis gegen Rike Weißbinder rechtfertigte und eine Verurteilung unumgänglich machte. Die Unterstellung des Buches, Maria sei als junges Mädchen vom eigenen Vater schwanger geworden und habe die Botschaft des Engels nur erfunden, um der Schande zu entgehen und nicht als Hure verstoßen zu werden, war mit Salviatis Worten ein hinreichender Grund, den Tod der Autorin zu beschließen. »Ich frage«, wandte Domenico de Cupis ein, »ob dieses lächerliche Buch tatsächlich in der Lage ist, die Heilige Schrift zu leugnen, zu widerlegen oder ihr auch nur zu schaden.« Ein empörtes Murren kam von den anderen. Doch Philippe de la Chambre nahm den Ball auf. »Man muss doch nur einmal bedenken, in wie vielen Abermillionen die Heilige

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