Das Fest Der Fliegen
den toten Leon Schnaubert. Auf Täter wütend zu sein, hatte er sich in seinem Beruf abgewöhnt. Wut hinderte in der Polizeiarbeit an der Erkenntnis der Ursachen und Zusammenhänge einer Tat. Er versuchte, ein mildes und freundliches Gesicht zu machen und liebevoll zu sprechen. »Er hat den Fehler gemacht, nicht du.« Glaubwürdig klang er nicht, und Martina schüttelte den Kopf. »Wenn ich daran denke, dass er noch leben könnte, wenn ich – Warum habe ich das nicht verstanden?« Swoboda umrundete den Tisch und stellte sich hinter Martinas Stuhl, legte seine Hände auf ihre Schultern und drückte sie leicht. »Er hat dir keine Chance gegeben, zu verstehen. Er wusste selbst nicht, in was für einer Gefahr er steckte. Wie solltest du das ahnen?« Er beugte sich vor und küsste sie aufs Haar. »Quäl dich nicht. Das ändert nichts. Manchmal haben wir keine Chance, so zu handeln, wie wir’s uns im Nachhinein wünschen. Du weißt, ich kenne das. Leider.« »Der Kaffee ist jetzt kalt«, sagte sie. Er lachte leise. »Du hast gut berichtet, sehr hilfreich, bringt uns ein großes Stück voran. Du wirst das allerdings auch zu Protokoll geben müssen, vielleicht fällt dir dabei noch das eine oder andere Detail ein. Ich will das Gesicht heute noch malen. Heute Nacht. Ich nehme das Polizeifoto als Vorlage. Mörder und Selbstmörder in demselben Gesicht. Ich stelle ihn mir vor, wie er die kleine Madame O’Hearn erschlägt. Und doch ist er ein Typ, der das, was er tut, nicht aushält. Es müssen schon sehr mächtige Leute sein, die ihm befehlen können, Morde zu begehen. Mächtig und skrupellos.« »Dann sind das die, die auch den Pfarrer umgebracht haben?« »Jedenfalls spricht viel dafür«, sagte Swoboda. »Er hatte noch einen Fetzen Papier zwischen den Fingern. Garantiert vom Geständnis. Wenn wir sehr viel Glück haben, entdecken wir nicht nur die DNA des Pfarrers und dieses Ferdinand Munkert, sondern auch die des Mörders. Munkerts DNA haben wir schon in Valmont gefunden. Die können wir abgleichen. Wenn es stimmt, was er gestanden hat und was du gelesen hast. Ah ja, du hast das Papier auch in der Hand gehabt. Na, das wird ein Durcheinander. Wir müssen jetzt als Erstes mit Klantzammer reden. Willst du die Vernissage verschieben?« Martina stand auf. »Auf keinen Fall. Die Einladungen sind längst raus, zwei Galeristen aus Stuttgart und Hannover haben im Hotel Übernachtungen gebucht, der Rundfunk kommt sogar. « »Aber ich gebe kein Interview, sollen sie ihr Mikrofon vor meine Bilder halten, die sprechen für sich.«
In den nächsten beiden Tagen gelang es, den Tod des Pfarrers der Presse vorzuenthalten. Sein Bischof wurde informiert. Georges Lecouteux reiste an und mietete sich im Hotel Korn ein. Kurz darauf traf Michaela Bossi ein. Sie bestand darauf, den Tatort noch einmal von einem Spezialistenteam des Bundeskriminalamtes untersuchen zu lassen, und brachte einen Profiler mit, der allerdings nicht viel mehr von der Persönlichkeit des Täters zu sagen wusste, als Swoboda sich bereits gedacht hatte. Die Leiche des Pfarrers war nachts vom LKA abgeholt worden. Man hatte am Hals und an den Händen Fingerabdrücke, DNA und unter dem Nagel des rechten Zeigefingers ein kurzes Haar gefunden, das aus Augenbrauen oder Bart stammte und nicht zur Leiche gehörte. Der Beichtzettel war verschwunden. Die Identität des Selbstmörders, der sein Geständnis mit Ferdinand Munkert unterzeichnet hatte, war rasch geklärt. Er stammte aus Münster, wo seine Mutter noch in einem Altenheim lebte, war zuletzt in Wiesbaden gemeldet und hatte als Verkäufer in der Herrenabteilung eines Kaufhauses gearbeitet. Vor acht Monaten hatte er gekündigt, Kollegen gegenüber sprach er von einem Lottogewinn, die Zeitung abbestellt, seine Post lagern lassen und war seither in seiner Wohnung in der Platterstraße nicht wieder aufgetaucht. Als die Polizei sie öffnete, fanden die Beamten das Einzimmerapartment spärlich möbliert, sauber, extrem ordentlich vor, der Kühlschrank war geleert, der Akku des Telefons leer. Kein Computer, kein Fernseher. Neben dem Bett eine Art Altar auf einer Kommode. Eine etwa vierzig Zentimeter hohe bemalte, gekrönte Marienstatue aus dem portugiesischen Fátima. Hinter ihr zwischen Kerzenleuchtern ein Kruzifix aus Holzimitat, das laut Aufkleber unter dem Standfuß in Rom geweiht worden war. Fingerabdrücke und DNA in der Wohnung stammten mit denen des Selbstmörders in der Mahr überein, ebenso mit den Spuren aus Valmont. In
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