Das Fest Der Fliegen
Strabo von den ZN , der nicht nüchtern eintraf und rasch vollends unartikuliert sprach, wollte wiederholt vor die Kamera. Als Martina endlich zu ihrer kurzen Begrüßungs-rede ansetzte, ging der eingangs kredenzte weiße Chardonnay zur Neige, und die üppig mit Kanapees gefüllten Silbertabletts auf der Tischplatte des Grafikschranks sahen am Ende von Martinas Rede aus, als hätte in Zungen an der Nelda seit Tagen Not geherrscht. Mineralwasser war noch reichlich vorhanden. Xaver Sinzinger kam nicht. Am Porträt seines Vaters Otto gingen die meisten zügig vorüber. Liesel Ungureith war später eingetroffen und hatte zielsicher das Bild ihres Vaters gefunden. Sie kämpfte mit den Tränen. Martina kam zu ihr her. »Wir haben lange gezweifelt.« »Nein, nein, es ist ja richtig, es ist nun mal so.« Die erfolgreichste Unternehmerin in der Stadt starrte in das Gesicht des Mannes, den sie liebte und über seinen Tod hinaus verachtete. Swoboda trat hinzu. »Wenn du möchtest, häng ich es ab.« »Auf keinen Fall.« Liesel sah ihn empört an. Sie ließ sich von Martina in die Arme nehmen und Swoboda drängte den Kameramann ab, der die beiden Frauen aufnehmen wollte. Die Kollegen des Malerkommissars, Sibylle Lingenfelser, Rüdiger Törring und Kriminalrat Jürgen Klantzammer, ignorierten die Waldbilder, Stillleben und Stadtansichten, gingen gemeinsam von Täterbild zu Täterbild und verglichen die Gesichter ihrer eigenen Erinnerung an die Fälle. »Nur gut, dass er nicht die Opfer gemalt hat«, sagte Klantzammer. Swoboda hörte ihn, weil er sich in der Nähe der Porträts aufhielt, als müsse er sie vor den Besuchern schützen. »Du weißt doch, dass ich kein Blut mehr sehen kann, und malen will ich es erst recht nicht. Warum schaut ihr euch nicht meine Landschaften hinter dem Mahrwald an, da war ich mehr zu Hause als vor den verdammten Leichen.« »Ihr Schreibtisch im Präsidium wartet auf Sie.« Törring war sich nicht bewusst, dass dies der falsche Satz zur falschen Zeit am falschen Ort war. Swoboda klopfte ihm etwas zu fest auf den Rücken und wandte sich ab. Gleich nach einem ersten raschen Gang durch die Ausstellung hatte Lecouteux sich bewundernd geäußert und ließ sich nun Bild für Bild erklären, welche Gegenden gemeint, wann die Stillleben entstanden waren und welche Taten sich hinter den Gesichtern verbargen. Martina hatte die beiden Porträts von Ranuccio Farnese und des Täters von Edinburgh nebeneinander gehängt. Leicester Burton war, nachdem er ziellos durch die Ausstellung flaniert war, vor ihnen abrupt stehen geblieben. Er tat so, als ob er mit Kunstverstand prüfte, was er sah, näherte sein Gesicht der Leinwand, um Farbauftrag und Struktur zu begutachten. Er roch die frische Ölfarbe im Porträt Ranuccios und spürte wieder den Schmerz, der ihn bei der Todesnachricht erfasst hatte. »Wollen Sie die beiden kaufen?« Martina hatte das nur so dahingesagt. Burton fuhr herum und sah sie so hasserfüllt an, dass sie sich entschuldigte. »Nein, ich weiß ja, solche Leute hängt man sich nicht ins Zimmer!« Der Ire fand seine Fassung wieder. »Ich bin nur verwundert. Warum malt man einen Selbstmörder?« Sie spürte, dass Burton ein besonderes Interesse an diesem Bild hatte. Und dass ihr dieses Interesse unheimlich war. Aber sie schwieg.
Burton drehte sich langsam wieder zu den beiden Bildern um. Er war verwirrt, seine Gedanken überschlugen sich und er hatte Mühe, sich zu beherrschen. »Und der hier?« Er deutete auf Domingo. »Das sind keine Fantasiegesichter, oder?« Er bekam keine Antwort. Martina war vom Fernsehteam weggebeten worden. Sie stellte sich vor das große Chamäleongemälde und sprach in die Kamera. Der Ire sah zu ihr hin, wandte sich wieder um zu den Köpfen von Ranuccio und Domingo. Er war der Einzige in dem summenden Raum, der sie beide kannte, der Einzige, der wusste, was jeder von ihnen aus welchem Grund getan hatte, und dass sie hier nebeneinander hingen, konnte keine künstlerischen Gründe haben. Wer das getan hatte, stellte einen Zusammenhang zwischen ihnen her. Dass Swoboda den Selbstmörder Ranuccio gemalt hatte, mochte einer Kriminalistenperversion geschuldet sein. Doch den Farben nach kannte er das Tizian-Gemälde. Wie war er darauf gekommen? Hatte Ranuccio mit ihm gesprochen? Warum hing Domingo hier, zweifellos war es Domingo Idiocáiz … Trotz aller Verfremdung, Vergröberung und Abstraktion war das Bild, das Leicester Burton anstarrte, das Gesicht des Engelslegionärs, der
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