Das Fest der Köpfe
Bisher haben Sie hier allein gelegen. Sie werden nachher Besuch bekommen. Wir schieben Ihnen einen Kranken hinein, einen Sterbenden. Er wird Sie nicht stören. Ich weiß nicht, ob er die nächsten Tage und Nächte noch überlebt…«
»Wer ist der Mann?«
Er winkte ab. »Sie kennen ihn nicht. Sie werden ihn auch kaum sehen, weil Sie schlafen, Mr. Sinclair, nur schlafen. Manche sind nicht mehr aufgewacht. Sie bereiten sich jetzt auf den Jüngsten Tag vor. Gute Nacht, Sir…«
Er drehte sich um und ging.
Wie folgsame Hunde liefen die beiden Pfleger hinter ihm her. Zurück blieb die Schwester. Sie wartete, bis alle anderen das Zimmer verlassen hatten, dann beugte sie sich über mich und handelte sehr fürsorglich, indem sie die Decke nahm und sie über meinen Körper streifte. »Ist das schon so etwas wie das Leichentuch?« fragte ich bitter.
»Halten Sie den Mund, und hören Sie mir zu!«
Ich wollte zu einer Gegenantwort ansetzen, als ich in ihr Gesicht schaute. Den drängenden und warnenden Ausdruck darin konnte ich nicht übersehen.
Sie wollte etwas von mir.
»Ich habe etwas getan, Mr. Sinclair, was der Doktor nicht weiß. Ich habe das Medikament ausgetauscht. Es ist eine völlig harmlose Lösung in der Spritze gewesen. Das weiß nur ich, jetzt wissen Sie es. Und spielen Sie um Himmels willen mit.«
Ich glaubte, mich verhört zu haben. »Was haben Sie getan?« fragte ich noch einmal nach.
Sie erklärte es.
»Und warum taten Sie das?«
»Fragen Sie nicht soviel.«
»Okay. Wie und wann komme ich hier hinaus?« Sie ging einen Schritt zurück. »Das wird sich alles ergeben. Warten Sie die Dunkelheit ab.«
»Gut, ich vertraue Ihnen.«
Die Schwester schenkte mir noch ein Lächeln, dann drehte sie sich um und verschwand schnell unter Mitnahme des Tabletts. An der Tür traf sie mit Dr. Stepanic zusammen, der ärgerlich darüber war, daß sie erst so spät erschien.
Schnell fiel die Tür wieder zu, wurde verschlossen… Ich lag da und wartete. War die Schwester zu einem Engel geworden?
Ihr Name wies ja darauf hin. War es ein Wunder, daß sie in mir plötzlich nicht mehr den Patienten sah? Was lief hier ab? Was wurde hier eigentlich gespielt?
Jedenfalls hatte sie recht behalten, was den Inhalt der Spritze anging. Ich fühlte mich keineswegs schläfrig. Im Gegenteil, ich kam mir vor wie aufgedreht.
Ich würde mich mit dem Schauspielern sehr anstrengen müssen. Von nun an verging mir die Zeit zu langsam…
***
Der Ort Kimberly lag vor Suko wie eine Kulisse, die ein Maler noch mit besonderen Farben übertüncht hatte. Sein Kommen erinnerte ihn an das Bild eines Westernhelden, der mit seinem Pferd in die fremde Stadt einreiten und sich am Rand einen ersten Überblick verschaffen wollte. Nur saß Suko nicht im Sattel, sondern in einem Leihwagen. Er war von dem normalen Weg nach rechts abgebogen und hatte das Schild gesehen, das auf den Friedhof von Kimberly hinwies. Er lag über dem normalen Straßenniveau und hatte eine leichte Hanglage, als sollten die dort begrabenen Toten auf die Stadt schauen können. Über Suko lag der Himmel wie ein dunkelblaues Band, das sehr breit und lang war. Die Wolken zeigten sich wie Inseln darin. Als etwas hellere Massen hoben sie sich vor dem Dunkel ab und bildeten regelrechte Figuren, die manchmal aussahen wie drohende Wächter. Der Wind war beinahe eingeschlafen, ungewöhnlich für Irland, aber gut für die zahlreichen Lichter, die in Kimberly brannten und die sich hinter Masken und in Köpfen versteckten.
Der Ort war erleuchtet und verändert worden. Überall standen die Köpfe und glotzten ins Leere. Sie waren hinter den Fenstern ebenso zu sehen wie an den Straßenecken, und sie wurden von den Menschen durch die Straßen und Gassen getragen.
Das Fest der Köpfe!
Suko mußte zugeben, daß sich Sir James nicht geirrt hatte. Hier wurde es tatsächlich gefeiert.
Halloween ist nicht schlimm, Halloween ist nett, ein wenig unheimlich vielleicht, aber es war ja nicht das eigentlich Halloweenfest, um das es ging. Dies hier war Samhain, das alte Fest der Kelten. Da kamen die Toten aus den Gräbern, weil sie sich an den Lebenden wärmen wollten. Also eine keltische Zombie-Mystik.
Daran mußte Suko zwangsläufig denken, als er in der Dämmerung stand. Besonders deshalb, weil ihm vorhin das Hinweisschild auf den Friedhof aufgefallen war.
Friedhöfe und Zombies gehörten zusammen wie das Brot und die Butter. Die Tatsache brachte seine Gedanken in eine andere Richtung. Kimberly
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