Das Fest der Köpfe
konnte warten. Die Masken und ausgehöhlten Kürbisköpfe würden ihm nicht davonlaufen, zudem hatte der Abend erst begonnen. Ihn interessierte der Friedhof. Wenn die alte Keltensage tatsächlich recht behalten sollte, konnte er dort möglicherweise Spuren entdecken. Da er sich in einer gewissen Höhe befand, lag der Ort unter ihm wie ein Gemälde.
Sein Wagen stand in einer kleinen Ausbuchtung an der rechten Seite des schmalen Friedhofswegs. Suko fand, daß es ein guter Platz war. Er wollte den Rest der Strecke zu Fuß gehen.
Es roch nach Frühling. Die ersten Zweige hatten Blüten bekommen, grün sprossen kleine Blätter hervor, und die in der Luft liegende Feuchtigkeit intensivierte den Geruch noch.
Der schmale Weg wand sich an mächtigen Baumgruppen vorbei. Randsteine am Weg glotzten wie graue Köpfe aus der Erde. Das Buschwerk wuchs an der linken Seite zusammen. Es nahm Suko den freien Blick auf den Ort. Über ihm aber lag ein rötlicher Schein, der von den zahlreichen leuchtenden Köpfen auch in die Höhe gestrahlt wurde. Ein schräg in den Hang gebauter Wall aus Steinen bildete zum Ort hin die Friedhofsmauer. Es gab kein Tor, Suko konnte den stummen Ort durch eine Lücke im Wall betreten.
Unter zwei hohen Bäumen duckte sich die Kapelle. Es gab keine Leichenhalle, die Toten wurden in der kleinen Kirche aufgebahrt. Die schmalen Fenster lagen zu hoch, um einen Blick hindurchwerfen zu können.
Suko ging auf die Kapelle zu. Unter seinen Schuhen bewegten sich die kleinen Kieselsteine mit knirschenden Geräuschen. Er kam sich vor wie ein Störenfried, als er an der Längsseite der Kapelle entlangging und eine alte Bank sah, die neben einem modrig riechenden Wasserbecken stand.
Das Holz der Bank war feucht und hatte einen dunklen Überzug aus Algen.
Suko passierte sie. Ihn wunderte es, daß die Tür der Kapelle nicht geschlossen war. Sie stand so weit offen, daß er in die kleine Kirche hineinschauen konnte.
War es Zufall oder Absicht, daß die Tür offenstand? In der Kapelle zeichneten sich Schatten auf dem Boden ab. Sie liefen in langen, breiten Bahnen aus, sie krochen lautlos und gespenstisch über die wenigen Bänke und drangen vor bis zum Altar, wo allein das rote, ewige Licht brannte. Suko dachte darüber nach, ob er die Kirche betreten sollte, als ihm ein kompakter Gegenstand auffiel. Er stand nicht weit vom Altar entfernt, baute sich praktisch zwischen ihm und den Bänken auf. An einen zweiten Altar konnte Suko nicht glauben. Er erinnerte sich aber daran, wo er sich befand. Nicht nur in einer Kirche, sondern gleichzeitig auf einem Friedhof, und der hatte etwas mit Tod und Vergänglichkeit zu tun.
Er betrat die Kapelle. Es war zu dunkel. Die Wände schienen zusammenzurücken, als wollten sie Suko erdrücken. Zudem umgab ihn eine seltsame Luft, sie war kalt und feucht, als würde jemand unsichtbare Tücher durch den Raum ziehen.
Suko holte seine Halogenleuchte hervor. Ihr Strahl zerteilte einen Teil der feuchten Düsternis. Er traf auch das Ziel, das vor dem Altar stand. Es war ein Sarg!
Sukos Verdacht hatte sich bestätigt. Trotzdem bildete sich in seinem Hals ein Kloß.
Ein Sarg in der Kapelle. Das war hier auf diesem Friedhof eigentlich normal, aber trotzdem wollte es ihm nicht in den Sinn. Da paßte das eine nicht zum anderen.
Sekunden später hatte er den schlichten Fichtensarg erreicht und erhielt die Bestätigung.
Er war nicht geschlossen, der Deckel lag daneben. Suko leuchtete in das Unterteil. Wer immer in diesem Sarg gelegen hatte, man hatte es ihm bequem machen wollen und den Boden mit Kissen ausgelegt. Kissen, die weich und eingedrückt waren.
Suko dachte scharf nach. Jemand konnte die Leiche aus dem Sarg befreit haben, das stand außer Frage. Es gab auch eine zweite Alternative. Daß die Person von sich aus den Sarg verlassen hatte, und das wiederum würde zum Fest der Köpfe passen, denn da sollten ja die Toten wieder erscheinen, um bei den Lebenden zu wohnen. Samhain schien sich zu erfüllen.
Sukos Gesicht war zur Maske erstarrt, als er sich drehte und durch die Kapelle leuchtete.
Das Licht tanzte, wenn es über sperrige Hindernisse hinweghuschte. Erinnerte an das Flackern eines Auges, das kurz vor dem Erlöschen stand. Aber es traf kein bewegliches Ziel. Suko befand sich allein in der Kirche. Noch einmal schaute er in den Sarg und besah sich die Druckstellen genauer. Es war klar, daß hier ein Toter gelegen hatte. Lebende suchten sich andere Stätten aus.
Der Platz in dieser
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