Das Fest der Schlangen
durch eine Socke.
Als er sie hörte, malte er sich aus, wie sie im Bett aussah – wie das Zimmer aussah, wie das Bett aussah, was sie anhatte oder nicht anhatte. Es nahm ihm den Atem.
»Ich war den ganzen Abend beschäftigt.« Er erzählte ihr kurz von den Ziegelsteinen, die durch die Fenster der beiden Wiccanerinnen geflogen waren. Während er redete, lauschte er ihrem Atem und stellte sich weiter ihr Zimmer vor. Er hätte sie gern gefragt, ob er vorbeikommen dürfe, aber er brachte den Mut nicht auf. Es war auch eine dumme Idee.
»Das ist ja schrecklich«, sagte sie. »Die armen Frauen.«
»Es könnte noch schlimmer werden.« Er überlegte, was er sonst noch sagen könnte. »Wie geht’s Ihrem Sohn?«
»Großartig. Er schläft jetzt übrigens, sonst würde ich Sie mit ihm sprechen lassen. Wir haben uns heute Abend eine DVD angesehen, und er war begeistert. Haben Sie WALL - E – Der Letzte räumt die Erde auf gesehen?«
»Wovon handelt er?« Von diesem Film hatte er noch nichts gehört.
»Ein müllverarbeitender Roboter ist das letzte Lebewesen auf der Erde. Er verliebt sich in einen anderen Roboter namens EVE , der in einem Raumschiff aufkreuzt. Eigentlich glaube ich, man kann einen Roboter nicht als Lebewesen bezeichnen. Aber dieser kann sich bewegen und denken und fühlen.«
Es gefiel ihm, ihre Stimme zu hören. »Gibt es Sex?«
»Keinen nennenswerten. Vielleicht wird ein bisschen geölt.«
»Das geht auch. Klingt, als hätten Sie sich gut unterhalten. Ich meine, alles, was anders ist als das, was ich tue, klingt unterhaltsam.«
»Arbeiten Sie denn immer so lange?«
»Das kommt ziemlich selten vor. Nur ist diese Sache ungewöhnlich scheußlich. Ein ganzer Haufen üble Geschichten, die voneinander unabhängig sind. Der Colonel hat Angst, dass alles den Bach runtergehen könnte. Ich meine Colonel Schaeffer. Das ist der Chef der State Police.«
»Also werden wir nicht zusammen frühstücken?«
Wieder verschlug es ihm für einen Moment den Atem. »Leider nicht. Aber ich rufe Sie später an.«
»Das haben Sie letztes Mal auch gesagt.«
Am Dienstagmorgen um acht waren Woody und Bobby Anderson im You-You, um mit Todd Chmielnicki zu sprechen. Sie fanden ihn in seinem kleinen Büro im zweiten Stock. Woody fand, Todd sah aus, als wäre er nie weg gewesen. Seine blauen Augen waren noch blauer als beim ersten Mal. Nach den üblichen Vorstellungen setzte Woody sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch, und Bobby ließ sich auf der Couch nieder. Chmielnickis Schreibtisch war leer, und Woody hatte keine Ahnung, was der Mann getan haben konnte, bevor sie kamen. Er selbst langweilte sich schnell. Wenn er in einem so kleinen Zimmer säße und nicht wenigstens eine Zeitschrift zu lesen hätte, würde er nach kurzer Zeit die Wände hochgehen.
»Sie kennen diese beiden Frauen?«, fragte Bobby. »Schwester Asherah und Schwester Isis? Sie wissen, dass letzte Nacht irgendwelche Kerle ihnen die Fenster eingeworfen haben?«
Chmielnicki stützte die Ellenbogen auf den Tisch, beugte sich vor und legte die Fingerspitzen aneinander. »Ich habe davon gehört. Man hätte damit rechnen können.«
»Wieso?«, fragte Bobby.
»Der Volksverstand nimmt eine kleine Bedrohung und macht daraus eine große. Damit will ich den Volksverstand nicht herabsetzen oder das Ausmaß der Bedrohung kleinreden. Klein ist sie nur, weil es unwahrscheinlich ist, dass viele Leute in Gefahr sind. Vielleicht nur ein paar wenige.«
»Und wissen Sie, wer?«, wollte Bobby wissen. Seine Stimme klang geschäftsmäßig und ließ keinerlei Regung erkennen.
»Woher sollte ich das wissen? Die Entführung des Babys, die Skalpierung, die Vergewaltigung der beiden Mädchen, die Schlangen und die sonderbaren Zeremonien im Wald, der scheinbare Selbstmord des Mädchens. Das lässt eine extreme Bedrohung und einen unmittelbar bevorstehenden gesellschaftlichen Zusammenbruch befürchten. Vor sechs Tagen sah noch alles gut aus. Aber war es auch gut? Stellen Sie sich vor, wie Termiten sich durch einen Balken fressen, vielleicht einen Balken, der ein Haus trägt. Das Haus stürzt ein, und die Leute sagen, es ist › plötzlich ‹ eingestürzt. Doch es war nicht plötzlich. Es war der nächste Schritt in einem stetigen Prozess. Passiert ist nur, dass dieser Prozess sichtbar wurde. Etwas ist an die Oberfläche gedrungen. Das Gleiche kann man über Brewster sagen: Der Prozess geht weiter, und wir sehen sein Fortschreiten nur, wenn Elemente an die Oberfläche dringen. Sie
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