Das Fest der Schlangen
betrachten die Oberfläche und suchen nach einer Ursache, aber die Ursache liegt in den kreuz und quer verlaufenden Tunneln unter der Erde. Sie suchen nach Hinweisen und erwarten, dass Sie sie in oberflächlichen Manifestationen finden, doch was Sie brauchen, sind keine Hinweise. Sie müssen zu einer Schlussfolgerung kommen. Sie müssen wissen, welche Fragen zu stellen sind.«
»Und welche Fragen würden Sie stellen?«, fragte Bobby.
Woody schaute zwischen Bobby und Chmielnicki hin und her, als verfolge er das Gespräch, aber er hatte kein Verlangen danach, sich daran zu beteiligen. Nie im Leben hätte er so ruhig wie Bobby klingen können.
»Das ist nicht mein Fachgebiet. Ich schätze, ich würde jede dieser Manifestationen untersuchen und alles bis auf das fundamentale Ereignis herunterschälen.«
»Zum Beispiel?«
»Betrachten Sie die Entführung des Babys als reine Entführung. Betrachten Sie sie ohne Schlangen, ohne das Krankenhaus, ohne die Mutter, ohne die Umstände der Geburt.«
Bobby schaute Chmielnicki unverwandt an. Er fand ihn nicht unbedingt sympathisch, war jedoch beeindruckt, und zwar nicht unbedingt von dem, was der Mann sagte, sondern von dessen Selbstgewissheit. Tatsächlich interessierte ihn auch das, was Chmielnicki sagte, aber darüber würde er nachdenken müssen. Er verstand nur, dass nichts damit gewonnen wäre, ihm zu drohen. Chmielnicki mochte vielleicht alles über diese Sache wissen – obwohl Bobby das bezweifelte –, nur würden sie es nicht aus ihm herausbekommen, wenn Chmielnicki nicht freiwillig damit herausrückte.
Woody war weniger beeindruckt, aber der Mann bereitete ihm Unbehagen. Deshalb hatte er Bobby mitgenommen. Er hoffte, Chmielnicki würde in Bobbys Kopf schauen, wie er in seinen geschaut hatte, damit Bobby sah, was Woody störte. Dabei glaubte er natürlich nicht an Telepathie.
»Was ist mit den Satanisten?«, fragte er unvermittelt.
Chmielnicki richtete den Blick seiner blauen Augen in Woodys Richtung. »Was soll mit ihnen sein, Woody?«
»Könnten sie dahinterstecken?«
Chmielnicki gestattete sich ein feines Lächeln. »Ich kenne persönlich keine Satanisten. Es gibt Gerüchte über eine Gruppe, die sich im Wald trifft, doch nichts Konkretes. Vielleicht haben sie damit zu tun, vielleicht auch nicht. Aber, Woody, die Satanisten sind immer unter uns. Das müssen Sie doch selbst wissen, als Polizist.«
»Ich kann Ihnen nicht folgen.«
»Bei den Gnostikern vor zweitausend Jahren waren die Mächte des Guten und des Bösen, Licht und Finsternis, gleich stark. Wie die linke und die rechte Hand: Wenn sie miteinander kämpfen, kann keine den Sieg davontragen. Dieses Paradigma wurde ersetzt durch ein Paradigma, das auf dem Kreis basierte. Im Zentrum steht das absolut Gute: Jesus, Buddha, Mohammed – was Sie wollen. Darum herum in konzentrischen Kreisen: Heilige, religiöse Gestalten, Barmherzige, Philanthropen und so weiter. Noch weiter entfernt vom Zentrum finden wir unsere Freunde und uns selbst. Wir glauben an das, was im Zentrum existiert, aber leider sind wir selbst voller Unzulänglichkeit. Noch weiter außen finden wir die ethisch und moralisch Kompromittierten, die Hedonisten, die Nimmersatten, Wollüstigen, Gierigen – die, die nur von Appetit und Ego getrieben werden und die andere benutzen oder vernichten, um ihre Ziele zu erreichen. Und in den äußersten Kreisen finden wir die Satanisten, obwohl sie sich selbst nur selten als Satanisten bezeichnen. Vielleicht bezeichnen sie sich nicht einmal als böse, doch ihr Stolz und ihre Selbsttäuschung gestattet ihnen, jede Barbarei zu rechtfertigen. Sie beuten einander und alle andern aus. Was hilft uns, ihnen zu widerstehen? Unser Widerstand rührt aus dem Glauben an das, was im Zentrum steht: eine Vielzahl von Werten, die oft durch einen speziellen Namen symbolisiert werden – Jesus, Buddha, was weiß ich. Diese Werte ermöglichen uns, in einer Gesellschaft und mit uns selbst zu leben, und sie sind es, was diesen äußeren Kreisen fehlt. Sie kennen nur ein Zentrum, und das liegt in ihnen selbst. Sie sind immer unter uns und nähren sich vom Rest. Sie können sie Satanisten nennen oder anders. Sie haben viele Namen.«
Woody hörte zu und versuchte, dem zu folgen, was Chmielnicki da sagte, aber es fiel ihm schwer, analytisch zu denken, denn Chmielnicki ärgerte ihn. Das ganze Gerede war vielleicht nichts als eine Nebelkerze. Er beschloss, es abzukürzen.
»Was für eine Schuhgröße haben Sie?«, fragte er
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