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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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bekannten Vorgang. Er hielt die dritte Scheibe vor die Deckenlampe; sie war so dünn, dass das Licht hindurchschimmerte.
    »Ich rede vom Häuten eines Menschen. Davon, einem Mann oder einem Jungen die Haut abzuziehen.« Carl begann mit der vierten Scheibe. »Wusstest du, dass ein Mann eins Komma sieben Quadratmeter Haut am Körper trägt? Aber ein Junge wie du? Ich schätze, da ist es nur knapp ein Quadratmeter. Manche Leute werden gehäutet, wenn sie tot sind, andere, wenn sie lebendig sind, zur Strafe zum Beispiel. Es gibt Bücher, in Menschenhaut gebunden, die jemandem bei lebendigem Leib abgezogen wurde. Du hast doch was übrig für Bücher, Junge. Wie würde dir so eins gefallen?« Carl machte eine kurze Pause vor dem Wort »Junge«.
    Hercel starrte das Messer an, das durch den Schinken glitt. »Ich glaube, es würde mir nicht gefallen, Sir.« Er hörte, wie die Badezimmertür geöffnet wurde und seine Mutter sagte: »Ich helfe dir beim Anziehen.« Dann hörte er, wie Lucy durch den Korridor zu ihrem Zimmer rannte.
    »Sie können sehr hübsch sein«, sagte Carl. »Wie Kunstwerke. Einem Mann oder einem Jungen die Haut abzuziehen, das ist eine heikle Arbeit. Man will ja nicht ins Fleisch schneiden. Also schneidet man sehr langsam, vielleicht immer nur ein Hundertstel Zoll.« Carl hielt die vierte Schinkenscheibe ans Licht. »Vielleicht weniger. Man will keine dicken Scheiben haben, wenn man ein Buch damit einbindet. Wenn ich einem Mann oder einem Jungen die Haut abziehen sollte, würde ich am Hals anfangen. Ich würde von der einen Seite der Kehle zur anderen schneiden und dann hinten durch den Nacken. Und dann würde ich mich langsam abwärts vorarbeiten. Was glaubst du, wie sich das anfühlt, Junge?«
    Hercel hatte einen trockenen Mund bekommen. »Nicht gut, Sir.«
    »Nein, nicht gut.« Carl war bei der fünften Scheibe. Die anderen lagen rosig und frisch auf einem Teller. »Ich würde von der einen Schulter zur anderen schneiden. Man braucht ein ordentliches Stück Haut für ein Buch. Keine kleinen Fetzen, die man dann zusammenstückeln muss. Das würde nicht gut aussehen. Was ist dein Lieblingsbuch, Junge?«
    Hercel antwortete nicht. Er konnte den Blick nicht von dem Messer wenden.
    »Ich habe gefragt, was dein Lieblingsbuch ist.«
    Hercel blickte auf. Carl starrte ihn an. Die dunklen Falten auf seinen Wangen sahen aus wie lange Schnitte. »Ich weiß nicht. Ich glaube, Harry Potter , Sir.«
    Carl lächelte. »Wäre es nicht schön, wenn dein Lieblingsbuch mit einem hübschen, weichen Stück Haut bezogen wäre, Junge?«
    Hercel antwortete nicht.
    »Ich habe gefragt, ob das nicht schön wäre.«
    »Ich glaube nicht, dass es mir gefallen würde, Sir.«
    »Woher willst du das wissen, wenn du es noch nicht ausprobiert hast?« Carl lächelte wieder. »Und deine eigene Haut, Junge, wäre die nicht hübsch? Wie würde es dir gefallen, wenn jemand dir die Haut vom Rücken abzieht? Glaubst du, du würdest schreien? Ich wette, du würdest Zeter und Mordio schreien.«
    Hercel antwortete nicht. Er stellte sich vor, wie die Haut von seinen Schultern abgezogen wurde und wie sich das anfühlen würde. Er stellte sich vor, wie er schrie.
    »Was hast du gesagt, Junge?«
    Hercel sprang auf und stieß gegen den Tisch, sodass ein bisschen Milch aus der Schale schwappte und eine Pfütze bildete. »Ich muss gehen, Sir.« Er lief zur Tür.
    »Du hast deine Milch verschüttet, Junge«, sagte Carl hinter ihm. »Es ist nicht gut, wenn man seine Milch verschüttet.«
    Hercel raffte Jacke und Rucksack an sich und rannte hinaus auf die Veranda. Es sah aus, als regnete es mehr denn je. Er rannte außen herum zur Garage, um sein neues Fahrrad zu holen, sein neues altes Fahrrad. Er wollte es nicht gern nass werden lassen, aber er wollte schneller wegkommen, als Mr. Krause rennen konnte. Als er im Regen durch die Einfahrt fuhr, sah er, dass Mr. Krause ihn durch das Küchenfenster anstarrte.
    Am Tag zuvor hatte Woody gedacht, er könne am Dienstag wieder mit Jill Franklin im Brewster Brew frühstücken. Aber als die Ereignisse des Montags sich entfalteten, erkannte er, dass diese Wahrscheinlichkeit immer weiter schrumpfte, und um Mitternacht gab er die Hoffnung vollends auf. Er rief sie an, und als sie sich meldete, wurde ihm klar, dass er sie schon wieder geweckt hatte. Das waren die Dinge, dachte er, derentwegen Susie ihn unsensibel nannte.
    »Sie arbeiten aber lange«, sagte sie, und ihre verschlafene Stimme klang gedämpft, als spräche sie

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