Das Fest der Schlangen
Gewalt angewandt hatten. Die Nachricht von Ninas Tod hatte sich in der Stadt herumgesprochen, und die Leute wussten bereits von der Vergewaltigung der beiden Mädchen, von den seltsamen Zeremonien im Wald und von der Totenkopfmaske. Viele begrüßten das, was die Männer getan hatten, und Woody und Bobby wussten, dass die Gewalt zunehmen konnte. Deshalb mussten die Männer so rasch wie möglich gefasst werden.
Am Montagnachmittag hatte einer der Polizisten, die den Sumpf absuchten, ein dreieckiges Silberamulett an einer schwarzen Schnur gefunden. Im Inneren des Dreiecks war ein komplizierter Knoten aus weiteren Dreiecken. Woody hatte es Schwester Asherah gezeigt, und sie hatte es erkannt.
»Der Knoten Brighids, der Erhabenen«, hatte sie gesagt. »Die irische Priesterin der Dichter und Heiler. Dieser keltische Knoten überträgt ihre Gaben auf den Träger. Ihr Tag ist der zweite Februar, einer der Sabbate. Für Paganisten ist es das Fest des Imbolc, für Christen das Fest der heiligen Brighid. Sie war eine absolut wunderbare Frau. Ein Vorbild.«
»War sie, Sie wissen schon, gewalttätig?«, hatte Bobby wissen wollen.
»Ganz im Gegenteil. Sie ist die Beschützerin von Haus und Herd.« Schwester Asherah hatte einen Blick auf die Verwüstung ringsum geworfen. »Nicht, dass sie uns besonders geholfen hätte.«
Die Neuigkeit von dem Amulett hatte sich ebenfalls in der Stadt herumgesprochen und diente als weiterer Beweis dafür, dass Hexerei im Spiel war. Als er bei den Frauen saß, stellte Woody sich vor, wie die Leute einander anriefen und sich von dem Amulett im Sumpf erzählten. Woody hatte bereits Bonaldo angerufen und darum gebeten, einen Streifenwagen über Nacht vor dem Haus der Frauen zu postieren. »Und sorgen Sie dafür, dass die Jungs wach bleiben«, hatte er gesagt.
Die beiden Frauen waren Bobby vorgekommen wie verschreckte Hühner, nicht wie Hexen. Als Neopaganistinnen oder Neoheidinnen waren sie Anhängerinnen des Animismus: Sie glaubten, dass jedes belebte Ding, jeder Gegenstand, ob Regen, Wind oder Wolken, eine Seele hatte, die nach dem Tod auf andere Geschöpfe, Pflanzen oder unbelebte Dinge übergehen würde. Sie glaubten an Götter des Waldes und Götter der Fruchtbarkeit, und sie glaubten an die Macht des Matriarchats. Als er mit ihnen sprach und versuchte, dahinterzukommen, wie sie ihn täuschten, hatte Woody nur Selbsttäuschung erkennen können. Aber würde er das Gleiche nicht über alle Gläubigen sagen, gleich welcher Religion sie anhingen? Es war klar, dass die beiden Frauen stundenlang über Wicca reden würden, genau wie die Zeugen Jehovas oder die Mormonen, die von Tür zu Tür gingen und missionierten.
Nach einigem Bohren hatte Woody die Namen anderer Mitglieder ihres Zirkels und einiger Männer und Frauen aus anderen Zirkeln bekommen. Selbst wenn die Polizei sie nicht vernehmen würde, sollten sie doch gewarnt sein und wissen, was passiert war. Nur eine dieser Personen wohnte in Brewster, die anderen lebten verstreut zwischen Westerly und Newport. Trotzdem wollte er dafür sorgen, dass sie alle befragt wurden.
»Wie definieren Sie Matriarchat?«, hatte Bobby gefragt.
Schwester Isis, die im selben Maße dünn war wie Schwester Asherah dick, antwortete bereitwillig. »Ich sehe es – und ich bin sicher, Schwester Asherah wird mir zustimmen – als frauenzentrierte Gesellschaft mit Schwergewicht auf der Göttinnenverehrung. Viele der ältesten Gesellschaften waren matriarchalisch, und viele glauben, die Welt werde ihr natürliches Gleichgewicht wiederfinden, wenn diese Gesellschaften zurückkehren. Weniger Gewalt, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Während er Schwester Isis zuhörte, hatte Bobby den Eindruck, dass die Religion der Frauen nichts Gefährliches an sich hatte. Sicher war sie weniger gefährlich als viele der konventionelleren Glaubensrichtungen.
Als sie jetzt im Truck saßen, sagte Woody: »Du erinnerst dich an den Kerl, von dem ich dir erzählt habe – Chmielnicki, im You-You? Vielleicht könntest du nachher mitkommen, und wir reden mit ihm. Es war regelrecht unheimlich, wie er ständig Dinge über mich erraten hat, die stimmten. Jedenfalls könnte er dieses Wicca-Zeug vielleicht halbwegs klarstellen. Du kannst mir nicht einreden, dass Wiccaner mit dem, was wir hier untersuchen, etwas zu tun haben, aber Chmielnicki hat auch von Satanisten gesprochen. Vielleicht sind die es, die wir uns vornehmen müssen.«
Bobby konnte den Blick nicht vom Meer wenden. Im
Weitere Kostenlose Bücher