Das Fest der Schlangen
Temperatur rangiert zwischen neun- und zwölfhundert Grad. Das sind achthundert mehr als in einem Pizzaofen. Aber unsere Kunden brauchen ein bisschen länger als eine Pizza. Es dauert eine Stunde, eine achtundsechzig Kilo schwere Person zu verbrennen. Was wiegen Sie? Achtzig? Ich würde Ihnen eineinviertel Stunde geben. Nicht schlecht, um drei Kilo Asche und Knochensplitter aus Ihnen zu machen.« Wieder dieses leise Lachen. »Aber kommen Sie, ich mache Sie mit Larry bekannt. Wenn das hier der Ofenpalast ist, muss er der Fürst sein.«
Larry drehte sich um, als er seinen Namen hörte. Er lächelte nicht und zeigte auch sonst keinen Ausdruck. Sein Blick war leer. Das graue Gesicht war übersät von alten Aknenarben. Er hatte eine Fledermaus auf den rechten Unterarm tätowiert, oder vielleicht einen Adler. Er streckte Woody die Hand entgegen.
Woody schaute die Hand an und dachte daran, wie sie gerade noch mit der Leiche hantiert hatte. Er begriff, dass Larry ihn mit einer unangenehmen Herausforderung konfrontierte. Als er aufblickte, sah er, dass sogar Larrys Augen grau waren. Das alles dauerte nicht mehr als eine Sekunde. Woody schüttelte ihm die Hand.
»Warum steht › Kopf ‹ oben auf dem Deckel?« Woody bemühte sich um demonstrative Entspanntheit zwischen dem Händedruck und dem, was als Nächstes kam. Er verspürte einen beinahe überwältigenden Drang, sich die Hände zu waschen. »Kommt es darauf an, wie sie hineingehen?«
»Selbstverständlich. Der Brustbereich braucht am längsten. Deshalb haben wir eine spezielle Flamme direkt über dem Herzen. Das ist beinahe romantisch, finden Sie nicht auch? Larry wird diesen alten Knaben in ein paar Minuten in die Brennkammer schieben, und vielleicht haben Sie Lust, dabei zuzusehen. Im Oktober fängt die Grippesaison an, da nimmt die Zahl unserer älteren Kunden zu. Ich habe immer gefunden, es müsste heißen, der Oktober sei der grausamste Monat, aber andererseits gefällt mir auch der April.«
Brantley reichte Woody eine Edelstahlpfanne, ungefähr einen halben Meter lang und dreißig Zentimeter breit. »Larry fegt die Asche und Knochenreste hier hinein und durchsucht sie nach Metall, das ihm vielleicht entgangen ist, und nach größeren Fragmenten, die zerkleinert werden müssen, bevor sie in die Knochenmühle kommen.« Er klopfte mit den Fingerknöcheln an eine zylindrische Trommel auf einem Metallsockel mit einer Schublade. »Das ist im Grunde nichts weiter als eine übergroße Küchenmaschine. Die Klingen zermahlen Fragmente und größere Stücke in dreißig Sekunden zu Asche. Man kann sie in eine Urne schütten, in Schmuckstücke einschließen – Halskettenanhänger, Armbänder, Schlüsselanhänger –, ins All schießen oder ins Meer streuen. Was immer Sie bevorzugen, obwohl wir Ihnen natürlich gern eine hübsche Urne verkaufen. Gut, jetzt zeige ich Ihnen den Kühlraum.«
Woody wünschte, Brantley wäre weniger enthusiastisch. Andererseits fragte er sich, warum der Mann so war. Vielleicht war er stolz auf seinen Betrieb, vielleicht war er auch angespannt. Doch wenn das der Fall war, woher kam dann die Anspannung? »Trägt Larry nie Handschuhe?«
»Handschuhe? Daran habe ich nie gedacht. Larry!«, rief er. »Der Detective will wissen, ob du jemals Handschuhe trägst.«
Larry war eben dabei, den Pappsarg zu verschließen. Er sah Woody an und zuckte die Achseln. Digger Brantley lachte. »Ich schätze, er bevorzugt die direkte Methode.«
»Und was hat Carl Krause hier getan?«
»Hausmeisterarbeiten hauptsächlich. Er war eine große Hilfe, wenn etwas kaputtging. Es tut mir so leid um seine Frau. Und die armen Kinder!«
»Warum hat er letzte Nacht versucht, bei Ihnen einzubrechen?«
»Bei mir? Sie meinen, im Bestattungsinstitut? Das hat er nicht getan.«
»Die Scheibe in der Hintertür war eingeschlagen. Seymour hat gesagt, das war Carl.«
Brantley lachte laut. »Seymour sagt, Sie hätten sich nach Carl und dem zerbrochenen Fenster erkundigt. Sie haben einen boshaften Humor, Detective.«
Der begehbare Kühlraum war schätzungsweise sechs mal dreieinhalb Meter groß. Auf beiden Seiten befanden sich vierstöckige Regalborde, und an der hinteren war eine Belüftungsanlage mit drei großen, geräuschvollen Ventilatoren. Eine einzelne Lampe hing über der Tür. Der Metallboden war staubig, und die grünen Regalborde waren rostnarbig. Ein Kasten Budweiser stand unter dem Regal auf der rechten Seite. Auf den Borden stand ein Dutzend Pappsärge. Wartende
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