Das Fest der Schlangen
jetzt mit Vulturas Worten im Kopf diese Bilder anschaute, spürte er, wie groß die Distanz war. Dabei ging es nicht um die Kluft zwischen Gesundem und Ungesundem; es war eine metaphysische Ferne. Viele dieser Baseballspieler waren die Väter und Onkel seiner Freunde. Als er sich fragte, was sie von Vultura, der Generationalen Dämonolatorin, halten würden, konnte Fred Bonaldo nur seufzen.
Vultura erklärte, es seien keine Knochen ins Feuer geworfen worden. Sie habe auch keine Strohpuppen gesehen, aber sie sei früher auf Weidenmann-Festivals gewesen. Man verbrannte einen aus Weidengerten geflochtenen Mann und warf Knochen ins Feuer. Das gehörte zu Samhain, dem Erntefest am Ende des Sommers, das verantwortungslose Ignoranten mit dem Allerheiligenabend verwechselten. Was den großen Ziegenbock mit den gespaltenen Hufen anging, so vermute sie, dass Bonaldo sie auf den Arm nehmen wolle.
»Wenn der da gewesen wäre, würde ich mich daran erinnern. Die ganze Sache drehte sich um das Mädchen. Darum waren wir gekommen. Die Leute haben gerufen und gesungen, und es war sehr laut. Dann merkte ich, dass das Mädchen schrie. Das war kein Theater, sie hat wirklich geschrien. Der Diakon, dieser Clouston, hat sie am Boden festgehalten, und andere haben ihm geholfen. Sie haben ihre Arme und Beine festgehalten. Dann hat der Mann mit der Totenkopfmaske sie gefickt. Das schien zum Fest zu gehören, sogar das Schreien, aber Clouston war zu grob. Ich meine, das Mädchen war ja nur ein Mädchen. Glauben Sie mir, das war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte.«
Ein paarmal erwähnte sie, dass der heutige Tag, der 31 . Oktober, Samhain sei, und dass überall in Neuengland Feste gefeiert werden würden. »Heute ist die große Partynacht. Sie sollten Ihre Hüte festhalten.«
Am Samstagmorgen waren Hercel, Lucy und Tig mit Baldo im Spielzimmer der Bonaldos. Baldo hatte häusliche Arbeiten zu erledigen – er musste Laub harken, seine Sachen waschen und sein Zimmer aufräumen –, aber Laura Bonaldo wusste, es wäre unmöglich, ihn dazu zu bringen, wenn seine Freunde im Haus waren. Außerdem hatte es angefangen zu regnen, und so musste das Laubharken verschoben werden. Ein Streifenwagen parkte in der Einfahrt; Fresssack Hopper saß im Wohnzimmer und drehte Daumen. Er hätte gern ferngesehen, doch Laura erlaubte es nicht. Er meinte, es wäre okay, denn er würde vom Dienst suspendiert werden und sei sowieso nur aus Gefälligkeit gegenüber der Familie hier. Laura sei schließlich seine Cousine.
»Wenn es dir nicht passt«, sagte Laura, »kannst du ja gehen.«
Woodys Golden Retriever war auch im Spielzimmer. Woody hatte Ajax dagelassen, damit er den Kindern Gesellschaft leistete. Laura, die sich etwas darauf zugute hielt, dass ihr Haus immer hundefrei gewesen war, hatte mit Entsetzen reagiert, aber sie hielt den Mund. Immerhin rief sie den Kammerjäger an und vereinbarte einen Termin zur Begasung. In ihren Augen waren Hunde genauso schlimm wie Satanisten, doch für den unwahrscheinlichen Fall, dass Carl Krause immer noch frei herumlief, gab sie ausnahmsweise ihre Erlaubnis.
Baldo Bonaldo brachte Lucy Tischtennis bei. Ihm war klar, dass er damit allen einen Gefallen tat, denn Lucy hatte keine Chance, es zu lernen. Sie war erst fünf. Jedes Mal, wenn sie den Ball traf, segelte er quer durch den Raum, und Baldo musste unter die Stühle kriechen, um ihn zu finden. Nicht mal der Hund wollte da hinterherlaufen.
Ajax hatte sich bei Tig und Hercel auf dem Boden zusammengerollt und spendete ihnen den einzigen Trost, den die Kinder akzeptierten. Immer wenn Tig an ihren Großvater dachte, wollte sie weinen, aber es war unmöglich, nicht an ihn zu denken. Hercel ging es genauso, wenn er an seine Mutter dachte. Ja, wenn er sie auch nur für eine Sekunde vergaß, wurde er wütend auf sich selbst, weil er sie vergessen hatte. Beide Kinder konnten sich nicht vorstellen, jemals über den Punkt hinauszukommen, an dem sie jetzt waren. Zu ihrer Trauer kam die lauernde Angst vor den Kojoten und dem, was da im Wald passiert war. Wenn Tig einen Hund bellen hörte, erstarrten ihre Muskeln. Sie war sicher gewesen, dass sie sterben würde, und auch wenn sie nur eine nebelhafte Vorstellung vom Tod hatte, war sie doch überzeugt gewesen, dass sie gefressen werden würde. Die Sache mit den wirbelnden Steinen war ihr absolut rätselhaft.
Hercels Trauer und die Erinnerung an das Grauen wurden verstärkt durch eine Erschöpfung, wie er sie noch nie empfunden
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