Das Fest der Schlangen
»Wie landet ein Mädchen aus New Haven bei einer perversen Party auf der Insel?«, fragte er.
Vulturas Lächeln kräuselte kaum die Mundwinkel. Sie erzählte von Chatrooms für schwarze Magie, Message Boards, Vampir-Websites, Satanisten-Blogs, YouTube, Facebook, MySpace, Twitter und Skype. In Online-Verzeichnissen waren Tausende von Zirkeln und verwandten Gruppen in der ganzen Welt aufgelistet, und so fand Vultura Kontakt zu Dämonolatoren in einem Dutzend Ländern. Sie bloggten, tauschten Profile und Bilder, studierten die Kalender der Ereignisse des Weges zur Linken, wo sie sich trafen und miteinander vergnügten. Überschneidungen mit den Cybergoth- und Rivethead-Subkulturen waren unvermeidlich, aber die tat sie als Schwindel ab. Sollte jedoch ein Sabbat, ein Esbat, eine Dunkle Versammlung oder ein Heavy-Metal-Konzert in einem Dreihundert-Meilen-Radius um New Haven angekündigt werden, so wusste Vultura davon.
»Zu manchen gehe ich, zu manchen nicht. Kommt darauf an, wie böse es ist.«
Mit böse , begriff Bonaldo, meinte sie gut . Er hörte mit Staunen, dass satanistische Zirkel Websites hatten, dass man Videos von ihren diabolischen Riten auf YouTube sehen konnte und dass es Online-Versandgeschäfte für Hexereibedarf gab, bei denen man Athame, fliegende Besenstiele, Mäntel, Zaubersprüche, Zaubermittel, Voodoo-Puppen und dergleichen bestellen konnte. Fred Bonaldo hatte erst vor Kurzem angefangen, E-Mail zu benutzen – für ihn ein reines Wunderwerk. Jetzt erkannte er, dass er gerade mal an der Oberfläche gekratzt hatte.
»Und warum sind Sie heute Morgen hier?«, fragte er und behielt seinen monoton metallischen Tonfall bei.
»Ich habe das Foto dieses Typen in der Zeitung gesehen. Der da ermordet worden ist. Das war ein totaler Spinner.«
Die Versammlung auf der Insel war ein heiliges Erntefest zur Vorbereitung auf Samhain, und dazu gehörten Tanz, Gesang, Bannsprüche und Sex-Magie, bei der man, wie Vultura erklärte, nicht einfach vögelte, sondern den Orgasmus zurückhielt, sodass sich seine ganze Macht nach innen wandte. »Da geht es nicht um Lust, sondern darum, den Orgasmus mit Hilfe von Milliarden christischen Atomen in einen Träger spiritueller Essenz zu verwandeln. Aber man zwingt niemanden. Ich meine, ich wusste nicht, dass das Mädchen vergewaltigt werden würde.«
Zwanzig Leute hatten sich in West Kingston getroffen und waren ein paar Meilen weit zu einer Stelle gefahren, von der man sie durch den Wald zu einer unter Wasser liegenden Brücke brachte, die auf die Insel führte. Die Brücke war fünf, sechs Meter lang und bestand aus verbundenen Planken. Fackeln säumten den Weg, an dessen Ende ein großes Feuer brannte. Die Leute trugen Mäntel und Kapuzen, und der Hohepriester, das Oberhaupt des Zirkels, trug eine Totenkopfmaske. Sie beschrieb einen Gottesdienst unter der Leitung des Hohepriesters auf der Grundlage von Rufen und Antworten, der zunehmend leidenschaftlicher geworden war und durch Schreie, Ohnmachtsanfälle und Augenblicke dämonischer Besessenheit untermalt wurde. Vultura bestritt, dass Drogen oder Alkohol im Spiel gewesen seien. »Vielleicht ein paar Pilze«, sagte sie. Sie selbst habe es nicht gern, wenn irgendwelche Stimulantien zwischen sie und ihr Bewusstsein des Einen träten. Clouston, sagte sie, habe dem Hohepriester assistiert und sei der »Dunkle Diakon« genannt worden. Über den Priester selbst konnte sie wenig sagen, nur dass er ungefähr eins achtzig groß gewesen sei, schlank und »athletisch«, schätzungsweise zwischen dreißig und vierzig. Die Mäntel und die relative Dunkelheit hätten es schwierig gemacht, die Gesichter der Leute zu sehen. Manche seien ihr bekannt vorgekommen, aber sie sei nicht sicher.
»Würden Sie jemanden wiedererkennen?«, fragte Muller.
»Vielleicht.«
Bonaldo glaubte nicht, dass sie die Wahrheit sagte, doch er wusste nicht, was er da tun sollte. Er würde mit Woody darüber sprechen müssen. Die ganze Sache war so beunruhigend, dass er überhaupt nicht mehr klar denken konnte. Er fühlte sich vollkommen überfordert.
Bis 1980 hatten die Polizisten aus Brewster in einer Baseball-Liga gespielt, die gleich nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden war. An den Wänden des Büros hing ein Dutzend Fotos der Siegermannschaften – eifrig lächelnde, Baseball liebende Cops, die für die Kamera posierten. Inzwischen waren sie alle tot oder alt, aber die ferne gute Laune verlieh dem Raum immer noch ein bisschen Wärme. Als Bonaldo
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