Das Fest der Schlangen
Kunden , dachte Woody. Er konnte seinen Atem sehen.
»Nicht sehr hübsch, fürchte ich.« Brantley hob die Stimme, um den Lärm der Ventilatoren zu übertönen. »Aber durchaus funktional, und außer uns sieht es niemand. Wir bedienen ungefähr zwanzig Bestattungsunternehmen, und das bedeutet, wir haben mindestens zehn Kunden pro Tag. Noch mehr in der Grippesaison. Die Temperatur ist die gleiche wie in einem normalen Kühlraum für Fleisch oder Bier. Wir können unsere Kunden hier etwa einen Monat lang aufbewahren, schätze ich. Die Böden der Pappsärge sind flüssigkeitsresistent, doch gelegentlich leckt einer. Die meisten kommen innerhalb von einem oder zwei Tagen in den Ofen.«
Woody war in der Tür stehen geblieben, und Brantley stand hinter ihm. Woody war außerstande, seine finsteren Gedanken zu vertreiben. Er hatte die Bestattung seiner Eltern organisiert, und beide waren eingeäschert worden. Er stellte sich vor, wie sie in solchen Pappsärgen in einem solchen Kühlraum lagerten und auf ein solches Feuer warteten. Gelegentlich leckt einer , dachte er.
Er hörte ein Geräusch hinter sich und drehte sich um. Brantley war dabei, die Tür des Kühlraums zu schließen. Sofort schob Woody einen Fuß in den Spalt und verhinderte, dass die Tür ins Schloss fiel.
Brantley zog die Tür wieder auf und lachte. »Kleiner Scherz von mir«, sagte er.
19
Ihr Name war Molly Geier, doch sie zog es vor, sich Vultura nennen zu lassen. Streng genommen war sie keine Satanistin, sondern eine Generationale Dämonolatorin, was bedeutete, dass die Dämonologie seit Generationen in der Familie lag. Dämonolatoren waren theistische Satanisten, wie Presbyter oder Evangelikale Protestanten waren. Ihr Flüstern klang wie Sandpapier, und sogar ihr Zahnfleisch war schwarz. Dem kommissarischen Polizeichef Fred Bonaldo jagte sie eine Heidenagst ein.
Vultura wusste das, und es wärmte ihr das Herz.
Bonaldo saß an seinem Schreibtisch, flankiert von den Detectives Brendan Gazzola und Sarah Muller. Auch den beiden gefiel Vultura nicht.
Vultura war dreißig, und sie war ihr Leben lang Dämonolatorin gewesen. Zwar stand Satan im Mittelpunkt ihrer Religion, aber als Dämonolatorin richtete sie ihre Gebete an Leviathan, den Fürsten des Schmerzes, und an Belial, den Engel der Feindseligkeit. In ihrer Kindheit hatte ihre Familie dämonologische Festtagsriten praktiziert, hatten Altäre für bestimmte Dämonen errichtet und das Haus mit Amuletten geschmückt. Jetzt gehörte sie einem Zirkel in New Haven an. Ihr Streben richtete sich auf Astralreisen, sie verstand sich auf magische Wortquadrate, und sie ließ Fred Bonaldo wissen, sie könne ihn in eine Kröte verwandeln.
Bonaldo bezweifelte dies, zumindest ein wenig, doch er hatte nicht vor, es darauf ankommen zu lassen. Vulturas bloße Anwesenheit brachte sein gesamtes Glaubenssystem ins Wanken. Bonaldo war das, was man als generationalen Republikaner bezeichnen könnte. Er sah die Menschen in Kategorien der Parteizugehörigkeit, liberal oder konservativ in subtilen Abstufungen, ähnlich den Strichen an einem Thermometer, und er war davon überzeugt, jeder im South County lasse sich nach dieser simplen Methode einstufen. Was diese Überzeugung erschütterte, war die Erkenntnis, dass Vultura in seinem Diagramm nicht vorkam. Herr im Himmel, wahrscheinlich ging sie nicht mal zur Wahl. Und falls man von einer Parteizugehörigkeit sprechen konnte, wollte Bonaldo darüber gar nichts Genaueres wissen.
Vulturas schwarzes Kleid war am Oberschenkel geschlitzt, und als sie vor Bonaldo und seinen Detectives Platz nahm, schlug sie ein langes Bein über das andere. Detective Sarah Muller fand, das Bein zucke wie der Schwanz einer Albinoratte. Vulturas Pupillen waren so schwarz, dass Detective Gazzola vermutete, sie wäre auf Drogen. Vultura beschrieb ihnen die Natur Leviathans und zitierte aus dem Buch Hiob, und die drei Polizisten lauschten vorgebeugt.
Sein Niesen glänzt wie ein Licht;
seine Augen sind
wie die Wimpern der Morgenröte.
Aus seinem Munde fahren Fackeln,
und feurige Funken schießen heraus.
Aus seiner Nase geht Rauch
wie von heißen Töpfen und Kesseln.
Sein Odem ist wie eine lichte Lohe,
und aus seinem Munde gehen Flammen.
Auf seinem Hals wohnt die Stärke,
und vor ihm her hüpft die Angst.
Gazzola war nicht beeindruckt. Er hatte wenig Phantasie, und Vultura passte nicht in seine Weltsicht, die ohnehin eher eng war. Was sie da präsentierte, war Schall und Rauch, wenn man ihn fragte.
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